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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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die heiße Luft etwa einen Meter weit bewegt, ehe seine Wirkung in dem engen heißen Zimmer gänzlich abklingt. Ich folge Randall in mein und Juniors Zimmer, durchstöbere meine Schublade, finde den Ring, lege ihn in die Mitte seiner schwitzigen Handfläche, damit er ihn Daddy zurückgeben kann, der ihn in seine HosenoderHemdtasche stecken oder ihn sich an einer Kette um den Hals hängen wird, damit er wenigstens noch in Kontakt mit seiner Haut kommt, denn den Finger dafür hat er ja verloren.
    Nur Daddy hält es im Haus aus, so dunkel und stickig, wie es ist. Wir anderen gehen nach draußen, wann immer wir können. Der Himmel ist mit einem blaugrauen Laken bedeckt, die Sonne ist nicht zu sehen, und draußen ist es nur besser als drinnen, weil ein kräftiger Wind weht, einer, der an meinen Kleidern zerrt und meinen Körper so zeigt, wie er ist. Das Licht kommt von überall und nirgends. Die Hühner sitzen auf niedrigen Ästen, alten Zaunpfählen, einer alten Waschmaschine, auf dem Kipplaster und dem Feuerholz, das mal ihr Stall war. Sie kauern eng zusammen, es wirkt, als könnten sie es nicht ertragen, auf dem Boden zu sein, in dem wehenden Sand. Ich setze mich auf die Stufen, und Junior setzt sich neben mich, so dicht, dass seine feuchte Haut mich berührt. Randall setzt sich mit seinem Ball auf den Benzintank, wirft ihn hoch und fängt ihn wieder, ehe der launische Wind ihn mitnehmen kann.
    Skeetah stapelt alles Mögliche vor dem Schuppen auf. Ich würde sagen, er mistet den Schuppen aus, aber das kann ich nicht, denn er holt weder die Geräte noch die Ölfässer noch die kaputten Rasenmäher, Fahrradrahmen oder Blumentöpfe heraus. Sein Stapel ist nur für China: Hundefutter, Ketten, Leinen, Decken, ihre Fressnäpfe. Er wäscht ihre Näpfe mit den Händen aus und stellt sie auf die Stufe neben Junior und mich, wo sie kleine Pfützen ausschwitzen. Er trägt ihre Decke zur Wäscheleine und hängt sie auf, dann bückt er sich tief und kriecht zwischen dem Gerümpel auf dem Hof herum. Er sucht etwas.
    »Was macht er da?«, fragt Junior.
    Ich zucke die Achseln.
    Skeetah kommt mit einem dicken Stock in der Hand wieder hoch, einem Ast, der bei einem Gewittersturm abgebrochen ist,und fängt an, auf die Decke einzuschlagen. Staubschauer quellen stoßweise heraus wie kalter Regen. Manchmal schwebt der Staub ein bisschen länger in der Luft, als er sollte, wie eine langsame Wolke, und mir wird klar, dass etwas von China in der Decke steckt, dass ihre Haare herauskommen. Ich muss an Haferflocken mit Milch denken, an Rice Krispies mit Zucker.
    »Wir brauchen mehr zu essen«, sage ich.
    Randall fängt seinen Ball und drückt ihn sich an den Bauch.
    »Hast du ne Idee?«
    Ich sauge an meiner Lippe. Habe Lust, etwas zu kauen.
    »Bis jetzt nicht«, sage ich.
    Randall runzelt die Stirn. Junior legt den Kopf an meine Schulter.
    »Ich bin müde«, sagt er.
    Ich würde am liebsten sagen,
Es ist zu heiß, um dich bei mir anzulehnen
, aber ich schaue seine Baseball-Knie an, seinen Kopf, der zu groß und zu schwer für seinen sehnigen Hals zu sein scheint, und sage stattdessen: »Willst du ein paar Nudeln?«
    »Ja.«
    Skeetah klopft mit finsterem Blick die Decke aus. China springt von ihrem Platz neben dem Eimer auf, wo sie gelegen hat, und rennt los, kaum dass ihre Zehen sich in die Erde gekrallt haben. Sie rennt breit grinsend auf den Stapel Holzlatten zu, die früher der Hühnerstall waren, und springt. Sie bellt. Sie versucht, nach den Federn zu schnappen. Die Hühner flattern nach unten und kauern sich zusammen. China prescht vorbei, dreht ab zu den Zaunpfählen, springt wieder hoch und trifft die Hühner fast mit dem Kopf. Sie stieben kreischend auf und lassen sich dann wieder auf dem Holz nieder. China ignoriert das Dutzend im Baum und geht auf die Waschmaschine los. Sie fliegt durch die Luft und landet obendrauf, und die Hühner, die dort saßen, flattern auseinander.
    »Skeet!«, brülle ich.
    »China«, ruft Skeet und versetzt der Decke einen weiteren Schlag.
    Ich gehe in das dunkle Haus, um Juniors Nudeln zu kochen, und Daddy schläft so tief, und es ist so still, dass es sich anfühlt, als wäre ich dort drinnen ganz allein.
    »Wir sollten nach Eiern suchen«, sagt Randall. Er sagt es, während Junior auf der Treppe sitzt, das Gesicht in die Suppen schale steckt und die Brühe schlürft, nachdem er die Nudeln in langen, sich windenden Fäden übers Kinn in den Mund hat flutschen lassen. Er kann es nicht leiden, wenn ich die

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