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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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einen blutjungen Menschen; sie brachten ihn ein, als ich mit meinem Fuder Heu vor dem großen Magazin hielt.«
    »Wer bracht ihn ein?« fragte Scharwenka und setzte sich mit an den Tisch. »Unsere Neumärker drüben werden doch keinen Deserteur einfangen?«
    »Nein«, fuhr Reetzke fort, »die Franzosen brachten ihn ein; sie hatten ihn in der Krampe gefangengenommen. Gestern früh. Wißt ihr denn nichts davon?«
    »Nein, wir wissen von nichts. Laß hören, Reetzke«, riefen mehrere durcheinander, und auch Kniehase legte das Blatt aus der Hand.
    »Nun«, sagte Reetzke, »es war ja ein Überfall, und die Franzosen mußten Fersengeld geben. Sie haben vier Tote gehabt.«
    »Und in der Krampe?« fragte Kniehase, der immer aufmerksamer geworden war. »Und mit den Russen war es?«
    »Nein. Mit den Kirch-Göritzern. Handschuhmacher Pfeiffer, der immer den linken Fuß nachzieht und schon Anno sechs den einen General in der Drewitzer Heide weggeputzt haben soll – sie konnten es ihm aber nicht beweisen –, der war der Oberste. Es ist ein kräpscher Kerl und schießt gut und war schon dreimal Schützenkönig.«
    »Die Kirch-Göritzer!« unterbrach Kümmritz. »Wer das gedacht hätte! Nun aber laß den Handschuhmacher und seinen linken Fuß und erzähle, was du weißt. Laß dir's nicht so brockenweise herausholen.«
    »Nun, die siebzehn gingen also nach Kirch-Göritz und kamen ins Schützenhaus. Und da war ja nun Pfeiffer, der nie was zu tun hat, und steckte sich auch gleich in seine Schützenuniform mit der Medaillenkette und begrüßte sie und lobte sie, denn er kann reden wie ein Daus. Und als sie nun erzählt hatten, von wo sie desertiert wären und daß jeden Morgen zwanzig Mann in die Krampe müßten, um den Werft für die Faschinen zu schneiden, da sagte Pfeiffer: ›Kinder, das gibt einen Coup. Ich war mit bei den Schillschen, und ich versteh es. Morgen früh also. Wer will mit?‹ Da meldeten sich all die siebzehn Westfalen, denn das mußten sie, wenn sie nicht als schlechte Kerle dastehen wollten, und von den Kirch-Göritzer Schützen traten auch noch elfe vor. Und Pfeiffer war der neunundzwanzigste. So sah er auch gerade aus.«
    Die Bauern lachten, denn sie kannten ihn alle.
    »Und nu kam ja der andere Morgen, das war gestern früh, und sie schlichen sich dicht an der Oder hin, erst an dem Entenfang und dann an den Pulvermühlen vorbei. Und so kamen sie bis an die Stelle, wo die Franzosen den Werft schnitten, und der Werft stand so hoch und so dicht, daß sie sich einander nicht sehen konnten. Aber an einer Stelle war ein Gang, da drängten sie sich durch, einer hinter dem andern, und nun brachen sie mit Hurra vor, und Pfeiffer schoß ein altes Pistol ab, und die elf Göritzer Schützen gaben eine Salve in den Haufen hinein, daß gleich vier fielen und die andern auf die Festung davonliefen. Jetzt nun die Westfalen hinterher; aber es war Glatteis, und der vorderste Westfälinger, der zwei von den Ausreißern dicht auf der Ferse war, glitt aus und fiel so, daß er nicht gleich wieder aufkonnte. Da drehten sich die zwei nach ihm um und packten ihn und schleppten ihn mit sich fort. Das war der blutjunge Mensch, den ich um die zehnte Stunde einbringen sah. Und da sagt ich so bei mir, denn ich war neugierig geworden: ›Reetzke‹, sagt ich, ›du wirst nicht über Manschnow fahren, du fährst über Kirch-Göritz.‹ Und so fuhr ich über Kirch-Göritz. Aber, du mein himmlischer Vater, da war ja nu alles wie besessen, und den Pfeiffer hatten sie mit Punsch und Redensarten ganz toll gemacht. Und der hält sich jetzt für Schill und Blücher all in eins.«
    »Das sieht ihm ähnlich«, sagte Kümmritz, »ein Großmaul, das immer genau vorher weiß, wo was zu riskieren ist und wo nich. Schade, daß das junge Blut die Zeche bezahlen muß. Aber so geht es immer: dieser lahme Pfeiffer kriegt den Ruhm, und der arme Westfälinger wird die Kugel vor den Kopf kriegen.«
    Sie sprachen noch hin und her, und Sahnepott erschöpfte sich eben in Möglichkeiten, wie der Deserteur in dem Momente, wo er ausglitt, doch vielleicht noch zu retten gewesen wäre, als der junge Scharwenka eintrat, der heute ebenfalls Heu- und Strohlieferungen nach Küstrin hin gehabt hatte. Er trug noch hohe Stiefel, Flausrock und Pelzmütze und begrüßte jeden einzelnen, war aber ersichtlich in großer Erregung.
    »Setz dich, Wenzlaff«, sagte der Alte. »Was bringst du? Du siehst nicht aus wie gute Zeitung.«
    Der junge Scharwenka fuhr mit der Hand über die

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