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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Stirn und sagte dann: »Sie haben ihn erschossen; ich stand keine dreißig Schritt davon; sie wollten, daß es jeder sehen sollte.«
    »Den Deserteur?« fragten alle.
    »So wißt ihr schon davon?«
    »Nein. Wir wußten nur, daß sie gestern einen Deserteur eingebracht haben. Reetzke hat uns eben davon erzählt. Aber nun sprich, wie war es?«
    Der junge Scharwenka rückte zwischen Krull und Reetzke ein und sagte dann: »Ich hatt eben abgeliefert, aber den Schein hatt ich noch nicht, denn der alte Füllgraf war nicht bei Weg, und als ich auf dem Magazin fragte, wie lang es wohl noch dauern könnte, da sagte der Inspektor: Die vierte Stunde würde wohl herankommen oder auch noch mehr. Und dabei schlug die Schloßuhr eben erst zwölf. Aber was war zu machen, und so sagt ich zu Matthissen: ›Na, Matthis, denn helpt et nich; wie möten utspann'n. Du weetst ja, bi Kerkow'n upp 'n Kietz. Föhr man ümmer vörut. Ick kumm glieks na'h.‹ Denn ich mußte noch zu Mencken mit heran wegen dem Kirschfaß. Und dann ging ich über die Brücke. Und ich war noch keine zehn Minuten in der Ausspannung und stand mit dem alten Kerkow vor seinem Torweg, und die Hühner pickten um uns her, da hörten wir trommeln, Gott, trommeln, wie ich's all mein Lebtag noch nicht gehört habe.«
    »Das macht, Wenzlaff«, sagte Kümmritz, »weil du nicht bei den Soldaten gewesen bist. Ich kenn es. Ein Wirbel und dann alles still, und dann wieder ein Wirbel. Es bedeutet nicht viel Gutes.«
    Der junge Scharwenka nickte und fuhr fort: »Und nun dauerte es auch gar nicht lange, da kamen sie die Straße herauf. Erst fünf Tambours und ebenso viele Pfeifer; aber die Pfeifer spielten nicht. Und dann kam der junge Mensch. Jott, wie der aussah. Nicht bang und nicht traurig, aber das war es eben, was mir einen Stich ins Herz gab, und als er mich stehen sah und wohl sehen mochte, wie mir das Mitleid in den Augen saß, da nahm er seine kleine Mütze ab und grüßte mich.«
    Die Bauern rückten alle näher; man hätt ein Blatt in der Krugstube fallen hören.
    »Und dann kam ja der alte Füllgraf, ein paar Adjutanten neben sich, und den Schluß machte das ganze Bataillon, dasselbige Bataillon, von dem der junge Westfälinger desertiert war. Aber es war nur noch schwach, keine vierhundert Mann. Da sagte der alte Kerkow: ›Kumm, Jungschen-Scharwenka, da möten wi mit dabi sinn.‹ Und ich ging mit.«
    »Und doch heißt es: ›Du sollst nicht voll Neugier in deinem Herzen sein und nicht zu den Gaffern stehen«‹, sagte Miekley.
    »Doch, Miekley«, warf Kümmritz ein. »Doch, so was muß man sehen; das macht einen Eindruck. Und man hütet sich davor, oder man kriegt auch einen Haß gegen den Feind. Und beides ist gut.«
    »Und so ging es denn«, fuhr der junge Scharwenka fort, »immer mit Trommelwirbel bis an die letzten Häuser, und bei Raschmacher Günzel bogen sie links ein aufs freie Feld, da, wo die Reeperbahn ist. ›Halt!‹ kommandierte der alte Füllgraf, und dann formierten sie Carré, aber die vierte Seite war offen, und hier war das Grab. Ich stand mit Kerkow zwischen den Pappeln, und wir sahen den Sand, der frisch aufgeworfen auf dem Schnee lag. Und mir zitterte das Herz, denn fünf Mann und ein Sergeant waren jetzt aus dem Carré vorgetreten, und sie verbanden ihm die Augen mit seinem Taschentuch. Ein altes blaues Tuch mit weißen Punkten. Und nun sollt er niederknien. Aber da mit eins riß er das Tuch wieder ab und trat auf den General zu, der keine zehn Schritt von ihm hielt, und sagte was, was ich nicht hören konnte. Aber ich sah, daß der alte Füllgraf nickte und mit der Hand über seine Augen fuhr. Und da war es, als ob dem jungen Menschen leicht ums Herz geworden wäre, und er stellte sich gerad aufwärts hin und sah lange gen Himmel, wohl eine Minute lang. Und nun war er fertig, und mit der linken Hand, in der er noch das blaue Tuch hielt, schlug er an seine Brust und rief: ›Hierher, Kameraden, hier sitzt das preußische Herz. Feuer!‹ Und die Salve krachte, und im nächsten Augenblicke war alles vorbei. Der alte Füllgraf aber ritt heran und sagte zu dem Kommando: ›Gebt mir das Tuch.‹ Aber der Tote hielt es so fest, daß es Mühe machte. Dann schlossen sie wieder auf und rückten in Sektionen an uns vorbei. Jetzt spielten auch die Pfeifer, und ich merkte wohl, daß es etwas Lustiges sein sollte. Aber mir war nicht lustig ums Herz, als ich so hinterherging. Es war erst ein Uhr, und erst um sechs hab ich meinen Schein gekriegt.

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