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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Frau gedacht hat, als welche ich hochgeneigtest bin und verbleibe
    Ihre Wilhelmine Hulen, geb. Petermann.«
     
    Lewin wollte das Blatt zurücknehmen, aber Renate sagte: »Nein, noch nicht. Es gibt noch eine lange Nachschrift.« Und sie las weiter: »Ich muß Ihnen, junger Herr, doch auch noch vermelden, daß der Herr Rittmeister von Jürgaß fort ist. Er war hier und fragte nach Ihnen. Und der spaßige kleine Hauptmann auch. Sie gehen beide nach Breslau, wohin jetzt alles geht. Denn der alte Lehweß hat doch recht gehabt, und Preußen kommt wieder auf. Und morgen soll es in der Zeitung stehen. Aber die Menschen wollen ja nicht warten, und das ist ein Laufen und Trommeln, als hätten wir schon den Krieg. Und wer zu alt ist oder zu schwach, der gibt, was er hat, oder er sammelt. Die Potsdamer Kadetten haben vierzig Taler gesammelt.«
    Renate lachte, denn dieser ersten Nachschrift, dicht an den Rand gekritzelt, folgte noch eine zweite: »Denken Sie sich, junger Herr, der lahme Kellerjunge von nebenan will auch mit. Er sagt, der König kann alles brauchen. Und vorgestern hab ich mir im Bölkschen Saal den ›Brand von Moskau‹ angesehen. Gott, wie das so aufschlug! Ich dachte, wir müßten alle mit verbrennen. Ihre Obige.«
    Die Schorlemmer hatte mit einer Art Andacht dem Geplauder dieses Briefes zugehört. »Das ist eine gute Frau«, sagte sie jetzt und setzte dann hinzu: »Wir wollen ihr eine Kiste schicken! – Nicht wahr, Renatchen?« Und damit verließ sie das Zimmer, um die Geschwister allein zu lassen.
    Sie traf damit den Wunsch beider, zumal Renatens, die nach einer Weile des Bruders Hand ergriff und leise fragte: »Darf ich mit dir sprechen, Lewin?« Dieser nickte.
    »Die Hulen hat recht«, begann Renate, »sie hat es in ihrer Herzenseinfalt getroffen. Und nun höre mich an. Du bist jetzt zwei Tage hier, und wir können nicht so nebeneinander hergehen, immer nur in ängstlicher Vermeidung dessen, was uns das Herz bedrückt. Du bist verwundert, weil ich sage ›uns‹. Aber es ist so, denn ich bin bedrückt wie du.«
    Sie schwieg und hatte vor, von Kathinka zu sprechen, aber der Name wollte ihr nicht über die Lippen, und so fuhr sie fort: »Ach, ich habe sie so geliebt, mehr als eine Schwester. Sie hatte das vornehme Wesen, das so gefällt, und sie hatte mir es angetan, mir und dir und jedem. Ich muß noch an den Morgen denken, als ihr nach Kirch-Göritz ginget, du und Tubal, und die Tauben an das Fenster kamen und sich liebkosend an sie drängten, als ich kaum erst den Riegel geöffnet hatte. Das verdroß mich damals. Aber ich hatte unrecht. Es flog ihr eben alles zu. Auch die Tauben. Und auch Marie ging in ihr auf und verzehrte sich in Bewunderung, ja, sie verzehrte sich, denn ihr blutete das Herz.«
    Lewin, dem kein Wort entgangen war, lächelte und sagte: »Wir hören gern das Lob von dem, was uns verlorenging. Sonderbar, indem es uns das Gefühl des Verlustes steigert, tröstet es uns. Aber du darfst auch tadeln, Renate, tadeln, ohne Furcht, mir wehe zu tun. Denn ich wurde frei im Herzen, nicht durch eigene Kraft und kaum durch eigenen Willen, aber als ich vorgestern, in den hellen Wintertag hinein, hierherfuhr, da fühlt ich, daß ein altes Leben von mir abfalle und ein neues Leben beginne. Es klingt alles noch in mir nach, leise-schmerzlich, aber ich bin doch ein Genesender.«
    »Ach, daß ich sprechen könnte wie du«, sagte Renate. »Dir liegen die trüben Tage zurück, meiner aber harren sie noch. Und wenn sie mir erspart bleiben, so wird es doch immer ein Schweres sein, was mich vor einem noch Schwereren bewahrt. Ich weiß es, daß es so kommen wird; ich fühl es vorahnend in meinem Gemüte.«
    Lewin wollte antworten, aber Renate fuhr in wachsender Erregung fort: »Es ist ein dunkles Haus, und was sie selbst nicht haben, das können sie niemand geben: Licht und Glück. Es war immer ihr Schicksal, Liebe zu wecken, aber nicht Vertrauen. Vertrauen, ›die Mutter aller Liebe und ihr Kind‹. So las ich einmal, und es ergriff mich damals tief. Aber ich hab es seitdem anders gefunden. Es gibt auch eine Liebe ohne Vertrauen, und ich heg eine solche; du weißt zu wem, und ich kann sie nicht aus meinem Herzen reißen. Und deshalb werd ich
nicht
glücklich sein.«
    »Doch, Renate, du wirst es. Glücklicher als ich.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Tubal...«
    »... ist seiner Schwester Bruder«, unterbrach ihn Renate in schmerzlicher Bewegung, »ist
Kathinkas
Bruder.«
     

Achtes Kapitel
     
Hauptquartier

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