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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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einzelnen sagen, und ich rechne es ihm hoch an, daß er darauf verzichtet und sich wenigstens den Leuten gegenüber zum Schweigen zwingt. Er ist kein Mann der ruhigen Überlegung und nur waghalsig für seine Person. Die Verantwortlichkeit drückt ihn.
    Diese Stunden sind übrigens die schlimmsten. Ist er erst in Aktion, wird er sich selber wiederfinden.«
    »Und diese Aktion, wie wird sie ablaufen?« fragte der Graf.
    »Ich hoffe gut; es wäre denn...«
    Drosselstein sah ihn fragend an.
    »Es wäre denn«, wiederholte Vitzewitz, »daß uns die Russen im Stich ließen.«
    »Ich habe nicht nur Tschernitscheffs Zusicherung, ich habe sie, wie Sie wissen, gestern zum
zweiten
Male empfangen. Er ist kein Mann der Eifersüchteleien.«
    »Vielleicht nicht«, antwortete Vitzewitz. »Aber ich kenne die Russen, sie sind launenhaft und lassen es an sich kommen. Dabei haben sie jene glatten gesellschaftlichen Formen, die die Sache nur noch schlimmer machen. Sie versprechen alles und wissen im voraus, daß sie das Versprochene nicht halten werden, wenigstens fühlen sie sich nicht in ihrem Gewissen gebunden. Es fehlt ihnen zweierlei: Ehrgefühl und Mitgefühl. Und Tschernitscheff ist wie die anderen. Es ist möglich, daß er kommt, aber es ist andererseits nicht unmöglich, daß er
nicht
kommt. Und das ist es, was mir Furcht und Sorge macht.«
    Drosselstein suchte zu widerlegen, aber seine Worte verrieten deutlich, daß er im Grunde seines Herzens Berndts Befürchtungen teilte.
     
    In der nachrückenden Kolonne war nach wie vor alles still. Schulze Kniehase führte den ersten Zug, Lewin den zweiten, Tubal den dritten. Zwischen dem zweiten und dritten Zuge ging Hanne Bogun. Bamme, seiner hohen Fuchsstute mißtrauend, hatte auf ein Reservepferd bestanden, und der Scharwenkasche Hütejunge war ausersehen worden, den Shetländer am Zaume nachzuführen. In der ganzen Kolonne war er der einzige, dem es wirklich wohl ums Herze war. Eitel und seit dem Tage, wo die »Suche« stattgefunden hatte, von einem immer wachsenden Dünkel gequält, war er auch jetzt wieder begierig, sich hervorzutun, und zweifelte keinen Augenblick, daß sich die Gelegenheit dazu finden würde. Schon sein Aufzug deutete darauf hin; er trug eine Friesjacke und Leinwandhose wie gewöhnlich, aber über die Jacke war ein breiter Ledergurt geschnallt, in den er einen Schlitz gemacht und ein langes, in der Mitte ausgeschliffenes Messer hineingesteckt hatte. Der ganze Junge das Bild eines frechen Tunichtgut.
    Tubal, den die Stille bedrückte, trat ein paar Schritte vor und sagte zu dem Einarm: »Hanne, wie heißt das nächste Dorf?«
    »Podelzig.«
    »Eine halbe Meile, nicht wahr?«
    »Joa; awers de de Voß 'meten hett.«
    »Wieso?«
    »De giwt immer sien'n Swans noch to.«
    »Und Podelzig ist halber Weg bis Frankfurt?«
    Hanne Bogun nickte.
    »Höre, Hanne«, fuhr Tubal fort, »wie war es doch damals, war nicht einer von den Rohrwerderschen aus Podelzig?«
    »Joa, Rosentreter.«
    »Richtig, Muschwitz und Rosentreter. Nun hab ich sie wieder. Muschwitz, das war der mit der französischen Uniform und dem Czako. Weißt du noch?! Was ist denn aus ihm geworden und aus dem andern?«
    »De sitten beed noch.«
    »Und die hübsche Frau, die das Kind in dem Schlittenkasten nachfuhr?«
    »De sitt ooch noch.«
    »Arme Frau.« – Hanne grinste.
    »Dat's all nich so schlimm, junge Herr. Rysselmann kachelt in, und upp 'n Rohrwerder, doa wihr et man küll. Bi Winterdag wüll'n se all insitten; awers wenn de Kalmus kümmt, denn is et wat anners, denn wüll'n se all wedder rut.«
    Tubal fragte noch nach dem Spitzkrug und wie weit er vor der Stadt läge. Hanne Bogun wußte aber nichts davon; er war über Podelzig nicht hinausgekommen.
    An der Queue der Kolonne ritten Bamme und Hirschfeldt.
    »Nun, Hirschfeldt, wie ist Ihnen?«
    »Gut, Herr General.«
    »Freut mich. Ehrlich gestanden, mir will es nicht glücken; ich bin nicht recht in meinem esse, alles kommt mir zu hochbeinig vor, besonders meine Stute. Und solch Überfall ist doch ein eigen Ding, ein Pferd wiehert, ein Hund blafft, und alle Chancen sind hin. Spielen Sie, Hirschfeldt?«
    »Ich habe gespielt.«
    »Nun, dann wissen Sie, den einen Tag weiß man ganz genau, daß Treff sieben gewinnen wird, und den andern Tag weiß man es nicht.«
    »Und solch ein Tag ist heute?«
    »Hol mich der Geier, ja. Sehen Sie die Krähen an, die hier oben sitzen, sie rühren sich nicht einmal. Sie wissen, daß wir ihnen vor Angst nichts tun werden.

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