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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Kluge Tiere. Eben ritt ich die Kolonne herunter, Gott, wie das alles schleicht, so schwarz und still, als ob dieser Graben der Fluß in der Unterwelt wäre.
    Wie hieß er doch?«
    »Styx.«
    »Richtig, Styx. Der reine Leichenzug. Und ich wette, den Kerls ist auch so zumute. Jeder wäre lieber zu Haus.«
    Hirschfeldt lächelte.
    »Es ist immer so, General. Die beste Truppe macht ein schief Gesicht, eh es losgeht. Und nun gar bei Nacht. Die Nacht ist keines Menschen Freund, sagt das Sprüchwort, und der Soldat ist auch ein Mensch. Aber die Leute sind gut. Die Pikencompagnie unter dem hagern alten Herrn...«
    »Rutze.«
    »... Diese Pikencompagnie kann als Muster gelten, und die Compagnie Hohen-Vietz kommt ihr gleich. Sehen Sie solchen Mann wie diesen Kniehase, ein Herz wie ein Kind und ein Paar Arme wie ein Athlet. Ich habe mir heute bei der Revue jeden einzelnen scharf angesehen. Es wird alles in allem gut ablaufen, immer vorausgesetzt...«
    »Nun?«
    »Immer vorausgesetzt, daß uns die Russen nicht im Stiche lassen.«
    Bamme nickte und sagte dann zustimmend: »Ich traue dem Tettenborn nicht. Flausenmacher. Will sich in die Zeitungen bringen. Berlin, Berlin. Alles dies hier ist ihm zuwenig, macht nicht Aufsehen genug.«
    Es war ganz ersichtlich, daß Bamme den ernsten und beinahe feierlichen Tschernitscheff mit dem etwas leichtfüßigen Tettenborn, der seit vollen drei Tagen auf dem Hohen-Barnim, zwischen Küstrin und Berlin, umherschwärmte, verwechselte. Hirschfeldt war auch willens, den Alten respektvollst darüber aufzuklären, dieser aber fuhr ohne Pause fort: »Sie glauben nicht, Hirschfeldt, was ich an solchen Eitelkeiten alles habe scheitern sehen! Und was noch schlimmer ist als die Eitelkeiten, das sind die Rivalitäten, doppelt und dreifach, wenn sie sich ein politisches oder nationales Mäntelchen umhängen können. Und nun gar diese Russen! Ich wette, daß uns jeder von ihnen eine Schlappe gönnt. Es liegt ihnen daran, der Welt und vielleicht auch sich selber weiszumachen, daß es ohne Kosaken nicht geht und daß überall, wo diese Hilfe fehlt, eine Niederlage sicher ist. Sie gefallen sich in ihrer Befreierrolle, und um so mehr, je neuer ihnen die Rolle ist.«
     
    Unter solchen Gesprächen setzte sich der Marsch der Kolonne fort, und durch die Nacht hin hörte man nichts als den schweren Tritt der Landsturmmänner auf dem hartgefrorenen Schnee und von Zeit zu Zeit das Klappern ihrer Piken und Gewehre, wenn sie diese von der einen Schulter auf die andere legten. Um zehn Uhr passierten sie Podelzig, um elf die Lebuser Schäferei. Von hier aus war es noch anderthalb Stunde; immer schwankender wurde der lange schattenhafte Zug, bis man es von der Oberkirche her Mitternacht schlagen hörte; einige Minuten später hielten alle am Spitzkrug. Die beiden Barnimschen Bataillone waren schon da und standen zu beiden Seiten des Wegs. Eine kurze Rast war unerläßlich; Bamme ließ die Gewehre zusammenstellen, und gleich darauf saßen die Landsturmmänner auf Zaunplanken und Chausseesteinen und wickelten aus ihren Sacktüchern heraus, was ihnen Weib und Kind an Zehrung mit auf den Weg gegeben hatten. Kein Wort fiel; jeder fragte sich still, ob es wohl seine letzte Mahlzeit sei.
    Bamme war während dieser Lagerszene in den Spitzkrug eingetreten, in dessen großem, aber niedrigen und spärlich erleuchteten Gastzimmer er den erwarteten Vertrauensmann der Frankfurter Bürgerschaften bereits vorfand. Aus seinem Rapport ergab sich, daß alle Häuser am Nikolaikirchplatz mit Bürgerwehren besetzt, in der alten Kirche selbst aber die besten Mannschaften versteckt seien, mit denen Othegraven den General Girard gefangenzunehmen gedenke. All dies wurde mit Freude gehört; eine zweite Mitteilung indessen, dahin gehend, daß unten am Eingang in die Vorstadt, keine hundert Schritt vom »Letzten Heller« entfernt, eine französische Schildwache stehe, war desto unerfreulicher und nur angetan, ernste Verlegenheiten zu bereiten. Was tun, wie sollte man an dieser Schildwache vorbei?
    Der Spitzkrugwirt erbot sich, noch einmal nachzusehen. Bamme war es zufrieden und ließ inzwischen die Brigade wieder antreten. Er selbst hielt am rechten Flügel, in Front des Bataillons Lebus. Nicht lange, so war der Wirt zurück und bestätigte, daß ein französischer Wachtposten vor dem Sankt-Georgs-Hospitale schildere.
    »Verdammt!« sagte Bamme, »dieser Kerl ist mir im Wege. Wir müssen ihn beschleichen und niederstoßen. Freiwillige vor!«
    Aber

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