Vor der Flagge des Vaterlands
Bemerkung schneidet mir das Wort ab. Offenbar
droht meine Argumentation ihm den Gedanken nahezule-
gen, daß ich bei den letzten Ereignissen die Hand im Spiel
gehabt haben könnte. Die Augen von Ingenieur Serkö sind
unverwandt auf mich gerichtet, seine Blicke durchbohren
mich . . . zerwühlen mir das Gehirn . . .«
Kaltes Blut bewahrend, antworte ich aber in ruhigem
Ton:
»Mr. Serkö, Beruf und Neigung haben mich gewöhnt,
über alle Dinge reiflich nachzudenken. Nur deshalb hab’ ich
Ihnen das Ergebnis meiner Überlegung mitgeteilt, von dem
Sie soviel Gebrauch machen mögen, wie Ihnen beliebt.«
Damit trennen wir uns. Vielleicht hab’ ich aber durch
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Nichtbeachtung genügender Zurückhaltung einen Verdacht
erregt, den wieder zu beseitigen mir schwerfallen dürfte.
Aus dem Zwiegespräch hab’ ich indes eine wichtige Sa-
che erfahren, die Gewißheit, daß die Zone, die der Fulgu-
rator gefährdet, zwischen 4 und 5 Seemeilen entfernt liegt.
Vielleicht . . . bei der nächsten Äquinoktialebbe . . . eine Mit-
teilung in einer anderen kleinen Tonne . . . Freilich, ich muß
lange Monate warten, bis die obere Tunnelmündung bei
Tiefwasser wieder freiliegt! Und dann: Würde diese zweite
Notiz ebenso an die richtige Stelle gelangen wie meine
erste? . . .
Das schlechte Wetter hält an, die Windstöße sind furcht-
barer denn je – doch das ist an den Bermudas im Winter
nichts Ungewöhnliches. Sollte es der Zustand des Meeres
sein, der einen zweiten Vorstoß gegen Back-Cup verzö-
gert? . . . Leutnant Davon hatte mir doch versichert, daß,
falls sein Zug scheiterte, und die ›Sword‹ nicht nach Saint
Georges zurückkehrte, eine zweite Expedition unter ande-
ren Verhältnissen ausgerüstet werden sollte, um mit dem
Schlupfwinkel der Seeräuber aufzuräumen. Es tut wahrlich
not, daß das Werk der Gerechtigkeit sich früher oder später
vollendet und die gänzliche Zerstörung Back-Cups herbei-
führt . . . sollte ich diese Zerstörung auch selbst nicht über-
leben!
Ach könnt’ ich doch, und wär’s nur für einen einzigen
Augenblick, die belebende Luft der Außenwelt atmen! . . .
Warum ist es mir verwehrt, einen Blick auf den fernen Ho-
rizont der Bermudas zu werfen! . . . Mein ganzes Leben
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drängt sich in diesem Wunsch zusammen . . . ich möchte
den Gang durchschreiten, an das Ufer gelangen, mich zwi-
schen den Felsblöcken verbergen . . . Und wer weiß, ob ich
nicht der erste wäre, der die Rauchsäulen eines auf das Ei-
land zusteuernden Geschwaders erblickte? . . .
Leider war eine solche Absicht undurchführbar, da beide
Enden des Gangs Tag und Nacht von einigen Leuten be-
wacht wurden. Niemand darf ihn ohne eine Genehmigung
von Ingenieur Serkö betreten. Wagte ich es doch, so setzte
ich mich nur der Gefahr aus, meine Bewegungsfreiheit in-
nerhalb der Höhle zu verlieren . . . und vielleicht auch noch
etwas Schlimmerem . . .
Es erscheint mir in der Tat so, als hätte Ingenieur Serkö
seit unserem letzten Gespräch sein Benehmen gegen mich
verändert. Sein sonst spöttischer Blick ist mißtrauisch, fra-
gend und forschend geworden, ebenso wie der Ker Karra-
jes. 17. November. – Im Lauf des heutigen Nachmittags ent-
stand in Bee-Hive eine lebhafte Aufregung. Alle stürzten aus
den Zellen und laute Ausrufe schwirrten durcheinander.
Ich springe vom Lager auf und eile ebenfalls hinaus.
Die Seeräuber laufen nach der Seite des Gangs, an dessen
Eingang sich Ker Karraje, Ingenieur Serkö, Kapitän Spade,
der Obersteuermann Effrondat, der Maschinist Gibson und
der Malaie, der im speziellen Dienst von Graf d’Artigas
steht, schon versammelt haben.
Die Ursache dieser Aufregung sollte ich bald erfahren,
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denn die Wächter von draußen stürmen unter Alarmrufen
herein.
Im Nordwesten sind mehrere Schiffe gesichtet worden –
Kriegsschiffe, die unter Volldampf auf Back-Cup zusteu-
ern.
16. KAPITEL
Noch einige Stunden
Wie wirkt diese Nachricht auf mich ein! Von welch unsag-
barer Erregung fühl’ ich mich ergriffen! . . . Endlich wird
diese Lage der Dinge ein Ende finden, möge es ein solches
sein, wie Zivilisation und Menschlichkeit es gebieten!
Bis heute habe ich meine Beobachtungen Tag für Tag
niedergeschrieben. Von jetzt an muß ich damit Stunde für
Stunde auf dem laufenden bleiben. Wer weiß, ob mir das
letzte Geheimnis Thomas Rochs nicht doch noch bekannt
wird, wenn ich nicht mehr die Zeit habe, das
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