Vor Jahr und Tag
Grau. In dieser Welt riskierte er tagtäglich sein Leben. Dennoch hatte sich John wie Rick ein paar unumstößliche Grundsätze bewahrt. Er war zuerst und vor allem ein Patriot. Er liebte sein Vaterland. Darüber hinaus würde er seine eigenen Leute nie im Stich lassen. Und hinter diesen Grundsätzen steckte die Überzeugung, daß von seiner Arbeit für sein Land vor allem der Bürger profitierte. Sein Job war es, einmal abgesehen von allem anderen, die Bürger seines Landes zu beschützen.
»Wir werden unser Augenmerk verlagern«, sagte Vinay, »auf Whitlaws Tochter. Jetzt, wo Whitlaw tot ist, steht sie im Mittelpunkt. John, wie lang bist du noch im Lande?«
»Hab mir eine Woche freigehalten. Maximal. Aber ich könnte jede Minute abberufen werden.«
»Aber du bist offiziell freigestellt. Jess, du bist ab sofort ebenfalls freigestellt. Das hier ist keine interne Operation, ich will mir keinen Ärger einhandeln.«
»Soll ich Detective Chastain irgendwas weitergeben?«
»Ist das denn nötig?« erkundigte sich Vinay. Darauf lief es immer hinaus: So wenig wie möglich preisgeben. »Wenn wir uns darin einig sind, daß Miss Whitlaw im Moment im Mittelpunkt steht und sie in Ohio ist, dann ist der Nutzen, den uns ein Detective aus New Orleans bringen könnte, verschwindend gering.«
»Aber sie hat ihn angerufen«, meldete sich John. »Offensichtlich vertraut sie ihm. Falls sie untergetaucht ist, könnte er unsere einzige Verbindung zu ihr sein.«
»Ich bin bis jetzt immer offen mit ihm umgegangen«, warf McPherson ein.
»Hast du ihn überprüfen lassen?«
»Eins-A-Bürger«, antwortete Vinay. »Vorbildliche Militärakte, hat bei den Marines gedient. Er stammt aus einer alteingesessenen Familie, die Sorte mit einem ellenlangen Stammbaum, aber kein Geld. Hat die Collegeausbildung über die Army gemacht mit einem Abschluß in Kriminologie, hat dann als Streifenpolizist beim NOPD angefangen und sich bis zum Detective hochgearbeitet. Der macht den Lieutenant mit links, außer er stolpert über die Politik. Oder wechselt zur Bundespolizei.«
»Ich halte ihn für hart, aber ehrlich, so, wie ein echter Cop sein sollte.« McPherson breitete die Hände aus. »Also, heißt’s nun quid pro quo?«
»Ich würde sagen, ja«, bemerkte John.
Vinay ließ sich die Situation durch den Kopf gehen. »Also gut, ihr könnt ihn über unsere Aktivitäten auf dem laufenden halten, solange das, was ihr ihm sagt, nicht die Angelegenheiten unseres Vereins betrifft. Falls es hier um irgendeine alte Sache geht, die Rick für uns in Vietnam erledigt hat, dann bleibt das natürlich unter uns.«
»Ich dachte zuerst auch, daß es so was wäre«, meinte John und schlenderte, die Hände in den Hosentaschen, zu den Bücherregalen, um Vinays Lektüresortiment zu inspizieren. »Aber jetzt wissen wir, daß man es von Anfang an auf Whitlaw abgesehen hatte, also ist diese Theorie unhaltbar. Das beste, was wir tun können, ist, Ms. Whitlaw aufstöbern, und es könnte sein, daß wir dazu Detective Chastain benötigen.«
Marc sah Karen beim Schlafen zu. Sie lag zusammengerollt auf der Seite, das schimmernde braune Haar ein wenig zerzaust, das Gesicht leicht gerötet und entspannt. Als sie heute vormittag aus dem Flugzeug stieg, war ihr Gesicht weiß und angespannt gewesen. Er wußte, daß ein Teil ihrer Anspannung auf ihn zurückzuführen war, aber er war einfach nicht in der Lage gewesen, sich zu beherrschen, als er sah, wie ängstlich und angeschlagen sie aussah. Die blanke Wut war in ihm hochgeschossen, und wenn er in dem Moment den Bastard, der ihr das angetan hatte, in den Händen gehabt hätte, hätte er ihn ohne Zögern oder Bedauern abgemurkst.
Sein Mädchen war in Gefahr. Jeder primitive Instinkt in ihm lief auf Hochtouren, genährt von seiner Wut und Angst. Wenn er nicht mit der schrecklichen Tragödie des kleinen James Gable beschäftigt gewesen wäre, wäre er höchstwahrscheinlich selbst nach Columbus geflogen, um die Dinge zwischen ihnen ein für allemal zu klären, und wäre dann dagewesen, um sie zu beschützen. Er wünschte, er wäre dagewesen, als dieser Bastard in ihre Wohnung einbrach und versuchte sie umzubringen. Wenn sie nicht einen kühlen Kopf bewahrt hätte, wäre ihm das auch gelungen.
Sie hatte den Möchtegern-Killer mit nichts weiter als einer Dose Haarspray besiegt. Schon bei der Vorstellung überlief es ihn eiskalt, sich vorzustellen, daß sie sich mit einer solch lächerlichen Waffe gegen einen Mann mit einer Pistole
Weitere Kostenlose Bücher