Vor Jahr und Tag
Es war weder protziger noch schlichter als die anderen Häuser in dem wohlhabenden Stadtviertel. Er fuhr keinen Luxuswagen, sondern bevorzugte ein nicht mehr ganz neues einheimisches Modell. Seine Nachbarn hielten ihn für einen von den tausenden gesichtsloser Bürokraten, die sich jeden Morgen für fünfundvierzigtausend Dollar pro Jahr und eine hübsche Pension in den dichten Verkehr der Hauptstadt stürzten.
Bestimmte Dinge am Haus waren jedoch verändert worden, so daß es sich doch von den anderen unterschied. Zum einen war da eine ausgezeichnete Alarmanlage, dazu ein schwarzbrauner deutscher Schäferhund namens Kaiser und eine neun Millimeter namens H&K. Jeden Morgen und jeden Abend wurden die Telefone überprüft und das Haus nach Wanzen abgesucht. Eine auf das Anwesen gerichtete Parabolschüssel würde aufgrund der hochentwic-kelten Abhörschutzelektronik anstelle brisanter Unterhaltungen nichts weiter zu hören bekommen als ein nervtötendes Summen.
Jess McPherson fühlte sich sicher in Frank Vinays Haus, was jedoch eher an Kaiser und der Neun-Millimeter lag, als an dem elektronischen Schnickschnack. Satelliten und Computer waren eine feine Sache, aber er war im Grunde seines Herzens ein altmodischer Kerl. Wenn er in den Ruhestand trat, würde er sich auch einen Hund zulegen. Als er Franks Dachsbau betrat, warf er einen Blick auf Kaiser, der zufrieden auf dem Teppich zu Franks Füßen lag. Kaiser erwiderte den Blick und wedelte einmal mit dem Schwanz, als wolle er sagen: »Entspann dich, alles in Ordnung.«
»Ich konnte noch kein Leck in meiner Abteilung finden«, sagte Vinay soeben zu John. »Verdammt, das macht mir echt Sorgen. Setz dich, Jess, und hilf uns mit deinen Gehirnzellen aus.«
McPherson suchte sich einen bequemen Sessel, klappte seine lange Gestalt hinein und streckte seine Telegrafenmastbeine aus. »Ich kann sogar noch mehr tun. Dieser Detective aus New Orleans hat sich bei mir gemeldet. Ich hab zurückgerufen, konnte aber nicht mit ihm sprechen, sondern nur mit dem Jüngeren, diesem Shannon, der ursprünglich die Anfrage nach Informationen über Rick eingereicht hat. Scheint, als hätte der Detective 'nen Anruf von Dex Whitlaws Tochter aus Ohio bekommen. Sie kennt ihn, weil sie hinflog, um Dex’ Leiche zu identifizieren.
Nun, jedenfalls sind seit ihrer Rückkehr zwei Anschläge auf sie verübt worden, und da sie nicht dumm ist, hat sie zwei und zwei zusammengezählt und bringt das Ganze mit dem Mord an ihrem Vater in Verbindung. Sie wollte wissen, ob der Detective irgendwas rausgefunden hat.«
»Hmm. Das bedeutet, daß es in Wahrheit um Whitlaw ging, nicht um Rick.« Vinay runzelte die Stirn. »Was wissen wir eigentlich von Whitlaw über die Zeit, nachdem er die Marines verlassen hat?«
»Nicht viel«, gestand Jess. »Hat sich ’ne Zeitlang mal hier, mal dort rumgetrieben, vor zehn Jahren ’ne kurze Haftstrafe in einem Gefängnis in Maryland für irgend ’ne Kleinigkeit verbüßt, seitdem nichts mehr.«
»Irgendwelche Hinweise darauf, daß er sich in der Zeit mal mit Rick in Verbindung gesetzt hat oder dieser mit ihm? Waren sie nach Vietnam irgendwann mal zur selben Zeit im selben Landesteil?«
»Da müssen wir ganz schön buddeln, wenn wir das rauskriegen wollen.«
»Wenn du schon dabei bist«, meldete sich John aus der Ecke zu Wort, »dann überprüf gleich, ob sie dieselben Leute kannten.«
Vinay zog ein nachdenkliches Gesicht. Gemeinsame Bekannte über eine so lange Zeitspanne herauszufinden erforderte ausgedehnte Nachforschungen und mehr Zeit, als herauszufinden, wann sich wer wo zu welcher Zeit aufgehalten hatte. Andererseits waren Johns Instinkte unheimlich scharf. »Ich werd sofort jemanden drauf ansetzen.«
»Ich glaube nicht, daß Whitlaws Tochter eine Ahnung hat, was läuft«, fuhr John fort, »sonst würde sie kaum den Detective anrufen und fragen. Andererseits scheint es Leute zu geben, die glauben, sie wüßte etwas. Wir sollten sie beobachten lassen. Dürfte interessant sein zu sehen, wer hinter ihr her ist.«
»Sollen wir eingreifen, wenn man versucht, sie umzubringen?« fragte McPherson.
»Selbstverständlich.« John sagte dies wie beiläufig, aber ohne Zögern. Er ist wie sein Vater, dachte McPherson. John verbrachte sein Leben in der Welt der Schatten, in einer Welt, in der Menschen entweder Informanten oder Spione waren und nichts so war, wie es den Anschein hatte, in der die Übergänge fließend waren, in der es kein Schwarz oder Weiß gab, sondern nur
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