Vor Jahr und Tag
hätte, würde er weiter die Wohnung durchsuchen und Geräusche dabei machen, so wie vorher. Aber alles war still; er hatte sie gehört.
Sie schätzte ihre Entfernung zur Tür ab. Wenn er sie plötzlich aufstieß, würde er sie damit treffen und aus dem Gleichgewicht bringen, so daß sie nicht mehr richtig zielen konnte. Lautlos trat sie bis zum Waschbecken zurück und hoffte, daß die Entfernung ausreichend war. Sie hob die Haarspraydose und wartete.
Ihr Vorteil war, daß sie ganz genau wußte, daß er da war. Er dagegen konnte ihre Anwesenheit nur vermuten, er wußte es nicht sicher - außer, er hatte ihre Handtasche gesehen. Oder den Telefonhörer unter dem Kopfkissen. Oh Gott.
Stell dir vor, was du tun wirst, hatte Dexter gesagt. Sei gefaßt, es ohne Vorwarnung zu tun. Zögere nicht, oder du bist tot.
Karen wollte nicht tot sein. Sie wollte noch lange, lange leben.
Die Tür sprang krachend nach innen auf. Ohne Zögern streckte sie den Arm aus und sprühte auf den Kopf der bedrohlichen Gestalt, die sich im Türrahmen abzeichnete. »Aaaahh!« Er taumelte rückwärts und fuhr sich mit den Händen an die Augen. In einer dieser Hände hielt er eine Pistole.
Karen warf sich ihm ohne zu überlegen entgegen, rammte sich mit aller Kraft in ihn hinein, was ihn taumelnd rücklings aufs Bett warf. Er erwischte sie am Nachthemd und zog sie mit sich. Sie schrie laut in der Hoffnung, daß man es in der Notrufzentrale vielleicht hörte. Er fuhr mit einem Ruck hoch und rollte sich auf sie; sein verzerrtes Gesicht, seine roten, tränenden Augen waren dicht über ihr, und da drückte sie noch mal auf die Spraydüse. Doch diesmal verfehlte sie seine Augen und sprühte ihm alles in die Nase, so daß er hustete und erstickt nach Luft rang. Sie sprühte erneut, stieß wild um sich und wand sich unter ihm, schlug ihm die rechte Faust ins Gesicht. Ihr Fuß traf eine Lampe und stieß sie vom Nachtkästchen auf den Fußboden, wo sie laut krachend in Scherben ging.
»Du... Schlampe!« heulte er. Blind schlug er zu und traf sie mit der Faust am Wangenknochen. Der Schlag war so hart, daß ihr Kopf auf der Matratze hochfederte und dann wieder zurückfiel. Ihr verschwamm alles vor den Augen. Sie spürte keinen Schmerz, nur die erstaunliche Kraft dieses Hiebs. Sie schlug ihm mit der Spraydose auf die Nase, seine Haut platzte auf, und das Blut spritzte über sie und das Bett. Es gelang ihr, die Beine anzuziehen und zuzustoßen, so hart sie konnte, wobei ein Fuß seinen Magen traf und der andere eine Stelle ein wenig tiefer, aber noch über seinen Weichteilen. Er taumelte nach Luft ringend zurück. Karen rollte sich vom Bett und kroch wie panisch auf Händen und Knien in Richtung Tür. Da drückte er fluchend ab, aber er konnte nichts sehen, so daß die Kugel ein Loch in die Wand über ihrem Kopf schlug und der Putz nur so flog.
Sie rieb sich beim Kriechen, und als sie durch die Tür hechtete, die Knie auf. Keuchend und mit vernebeltem Blick taumelte sie auf die Füße und machte einen Sprung auf die Haustür zu. Ein weiterer Schuß explodierte. Auch dieser traf nur die Wand.
Sie riß panisch die Tür auf, gerade als er aus dem Schlafzimmer getaumelt kam. Er wischte sich mit einem Ärmel über die tränenden Augen und hob die Pistole. Karen tauchte mit einem Hechtsprung durch die Tür und rollte sich ab, als sie auf dem Fußboden aufschlug. Der Schuß zersplitterte die Tür. Sie sprang auf die Beine und stolperte auf die Treppe zu, wo sie mit zwei Polizisten zusammenstieß, die soeben mit gezückten Revolvern die Stufen heraufkamen, die Gesichter kreidebleich.
Zitternd und schwindling sank sie zu Boden. Am anderen Ende des Gangs sah sie verschwommen ein Gesicht im Türrahmen eines der drei anderen Apartments auftauchen. »Runter!« keuchte sie.
Als er ihre Stimme hörte, taumelte der Einbrecher durch die Tür, die Arme ausgestreckt, die Pistole mit beiden Händen umklammernd. Beide Polizisten reagierten ohne Zögern. Die Schüsse gingen so dicht hintereinander los, daß es wie ein einziger klang. Der Einbrecher wurde durch die Gewalt der Einschüsse zurück an die Wand geschleudert, und für einen Moment glitt ein Ausdruck völliger Überraschung über sein Gesicht. Fassungslos, die tränenden Augen blinzelnd, blickte er auf den Blutfleck, der sich rasch auf seiner Hemdbrust ausbreitete.
»Die Waffe fallen lassen! Fallen lassen!« brüllten beide Polizisten.
Der Einbrecher lachte. Es hörte sich wie ein Gurgeln an, war aber
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