Vor Jahr und Tag
deren Schicht zu Ende wäre. Was das betrifft, so hätte auch einfach jemand im Krankenhaus anrufen und sich nach Ihnen erkundigen können.«
»Dann hätte man nur über meinen Zustand Auskunft gegeben, nicht über meine Pläne für den Abend.«
Er schaute ganz unglücklich drein. »Mrs. Whitlaw, wenn man die Dinge so betrachtet, gebe ich zu, daß etwas an der Sache faul sein könnte. Aber warum sollte Sie jemand umbringen wollen? Schulden Sie jemandem viel Geld? Haben Sie etwas gesehen, was Sie nicht hätten sehen sollen? Kennen Sie irgendein schreckliches Geheimnis?«
Karen schüttelte auf jede dieser Fragen den Kopf. »Nein, nichts davon. Ich weiß nicht, warum mich jemand umbringen sollte, aber alles weist darauf hin, daß es so ist. Und der Mann, der versucht hat, mich zu überfahren, hat sich keine Gedanken darüber gemacht, daß es Piper möglicherweise auch treffen könnte. Meine Freunde sind in Gefahr, Detective. Wenn sie mit mir zusammen sind, müssen sie darauf gefaßt sein, daß das Haus abbrennt oder sie erschossen werden, wenn sie zur falschen Zeit im Weg stehen. Was soll ich bloß tun?«
»Ich weiß es nicht.« Er drehte sein Notizbuch unschlüssig in den Händen. »Ich kann Ihnen nicht helfen. Ich kann nicht mal eine Untersuchung begründen, weil wir nichts Konkretes haben. Der einzige Tote ist der Typ, der in Ihr Apartment eingebrochen ist. Wenn wir einen beigen Pontiac ohne Nummernschild und mit eingedrückter Stoßstange und Farbspuren finden sollten, kann ich den Fahrer auch nur wegen Fahrerflucht drankriegen, mehr nicht. Nicht versuchter Mord. Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll, außer daß Sie sich freinehmen und an einen sicheren Ort gehen sollten. Und erzählen Sie niemandem, wohin.«
Freinehmen? Sie seufzte. So etwas gab es im Krankenhaus nicht. Frei hatte nur, wer krank war. Die Verwaltung würde es ihr zwar genehmigen, wenn sie darauf bestand, aber ob sie ihren Job nachher wiederhaben könnte, stand in den Sternen. Außerdem bedeutete es, daß sie kein Geld bekam, und ohne Lohn würden ihre Ersparnisse schnell draufgehen. Von der Lebensversicherung ihrer Mutter und dem Hausverkauf hatte sie zwar so viel Geld auf der Bank, wie sie sich nie hätte träumen lassen, aber es reichte lange nicht, um einfach mit dem Arbeiten aufzuhören.
»Lassen Sie sich’s einfach mal durch den Kopf gehen«, sagte Detective Suter.
Diesmal ging Karen allein zum Parkplatz, um Pipers Auto zu holen und diese dann von der Notaufnahme abzuholen. Es war schon fast finster, noch dämmerte es im Westen, aber die Straßenbeleuchtung war bereits angeschaltet. Sie hätte ja einen Pfleger oder eine Krankenschwester gebeten, sie zu begleiten, aber nach dem Vorfall mit der Fahrerflucht heute nachmittag wollte sie nicht noch einmal das Leben eines anderen aufs Spiel setzen.
Die ganze Situation kam ihr wie eine Szene aus einem Krimi vor, überall lauerte die Gefahr, und sie wußte nicht, in welcher Gestalt oder warum man es gerade auf sie abgesehen hatte.
Weggehen. Das hatte ihr Detective Suter geraten. Irgendwo untertauchen. Aber wenn sie nicht wußte, wovor sie sich versteckte, wie sollte sie wissen, wann sie wieder auftauchen konnte?
Das alles gehörte irgendwie zusammen. Alles hatte angefangen mit dem Mord an ihrem Vater und den beiden Anschlägen heute, das alles war aus demselben Grund geschehen.
Sie war so müde, zu müde, um richtig überlegen zu können. Sobald sie sich ein bißchen ausgeruht hatte, würde sie sicher auf etwas kommen. Aber sie hatte seit zwei Tagen kaum geschlafen, und der heutige Tag war von Anfang bis Ende ein Schock für ihre Nerven gewesen.
Immerhin konnte sie noch so klar denken, daß sie wußte, sie durfte nicht zu Piper nach Hause gehen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen deswegen, denn Piper ging auf Krücken, und jetzt war sie es, die jemanden gebraucht hätte. Aber alle, die mit ihr zusammen waren, schwebten in Gefahr, und sie war zu müde, um wach zu bleiben und aufzupassen.
Andererseits konnte auch Piper nicht mehr nach Hause, weil er wußte, daß Karen vorhatte, mit ihr zu gehen. Da ein Anschlag fehlgeschlagen war, würde er wahrscheinlich versuchen, sie nun in Pipers Haus zu erwischen. Vielleicht war er ja bereits dort, hatte sich Zugang verschafft und wartete nun auf sie.
Sie bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, ein dunkles Haus betreten zu müssen, wo möglicherweise ein Fremder mit einer Pistole auf sie wartete.
Ein Motel, ja, das war’s. Bloß für heute nacht
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