Vor Liebe wird gewarnt! (German Edition)
hakte meinen Daumen um den seinen. »Das sehe ich genauso.«
Er holte tief Luft, nahm seine Hand zurück und griff wieder zum Ruder. »Das mit der Autofahrt durch die ganze Welt hat sich inzwischen erledigt, denke ich. Aber ich kann dich um den ganzen See rudern. Wie sieht es damit aus? Ist das ein würdiger Ersatz?«
Ich nickte lächelnd. »Das reicht für den Anfang.«
»Gut, dann rudern wir mal los.«
Er senkte die Ruder ins Wasser und begann zu paddeln. Ich wollte den romantischen Moment noch vertiefen und die Szene mit Leonardo DiCaprio mimen, wie er am Bug des Bootes steht und mit ausgebreiteten Armen »I’m the king of the world« ruft, doch leider drehte ich mich zu schwungvoll um, so dass das Boot stark schwankte. Angstvoll bewegte ich mich in die andere Richtung, was das Boot jedoch nicht stabiler werden ließ. Im Gegenteil.
Ich kreischte auf. Das eiskalte Wasser eines Frühlingssees war nicht unbedingt etwas, mit dem ich heute noch Bekanntschaft schließen wollte.
Tim sprang auf, um mich festzuhalten. Diese Bewegung ließ das kleine Gefährt allerdings noch stärker schaukeln. Schnell ließ ich mich auf den Boden des Bootes fallen, in der Hoffnung, das Schwanken zu verringern. Im Prinzip hätte das klappen müssen, doch leider stand nun Tim, und da er mir zur Hilfe eilen wollte, ließ er jegliche Vorsicht außer Acht, auch das Gleichgewicht. Er wankte, versuchte, sich zu halten, doch vergebens. Er fiel in den See.
»Tim!«, rief ich angstvoll und schrie um Hilfe. Doch nur einen Augenblick später tauchte er prustend wieder auf.
»Verdammt, Emma. Du übst wirklich einen schlechten Einfluss aus.« Dann begann er zu lachen.
Ich atmete erleichtert auf, danach stimmte ich in sein Lachen mit ein.
»Ich lieb den Frühling, ich lieb den Sonnenschein. Wann wird es endlich mal wieder wärmer sein?«, sang ein Kinderchor am Ufer.
Wir verabschiedeten uns etwa eine halbe Stunde später und versprachen uns, in Kontakt zu bleiben. Ich gab ihm meine Telefonnummer, er mir die seine. Dann lief er, immer noch tropfend, zu seinem Fahrrad, um nach Hause zu radeln.
Ich konnte noch nicht heim gehen, dazu war ich noch viel zu aufgewühlt. Daher beschloss ich, in der einsetzenden Dämmerung eine Runde um den See zu drehen, um mich langsam zu beruhigen. Dabei zogen vor meinem inneren Auge alle Erlebnisse vorüber, die ich mit Tim jemals gehabt hatte. Wie er für mich zuerst Schokolade und später eine teure Uhr und einen Fotoapparat gestohlen hatte. Wie ich nachts von zu Hause ausgebüxt war, um mich heimlich in der Garage seines Vaters mit ihm zu treffen. Wie wir im Keller unseres Wohnblocks unsere ersten Zigaretten geraucht hatten. Und Schnaps probierten. Wie ich ihn einmal geküsst hatte, während er schlief. Und wie er mir zärtlich gestand, dass ich das einzige Mädchen sei, das er gerne in seiner Nähe habe. Wir hatten so viele Pläne, wollten gemeinsam abhauen, aus den engen und heruntergekommenen Verhältnissen des Wohnsilos verschwinden, zusammen hinaus in die Welt ziehen, den Dreck und die Missstände hinter uns lassen. Doch es war alles anders gekommen.
Ich holte tief Luft und verringerte das Tempo. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie schnell ich gelaufen war, um der Geschwindigkeit meiner Erinnerungen zu folgen. Es war immer dunkler geworden. Es begegneten mir kaum noch Spaziergänger. Wenn ich nicht in der Finsternis verlorengehen wollte, musste ich jetzt endlich den Rückweg antreten.
***
Die nächsten Tage erlebte ich wie in Trance. Da ich in den Nächten nur schlecht schlief, weil mich die Gedanken an Tim verfolgten, konnte ich mich tagsüber kaum konzentrieren und musste mir größte Mühe geben, im Job keinen Mist zu bauen. Aber glücklicherweise passierte nichts Dramatisches. Den Kollegen ging ich zum größten Teil aus dem Weg, auch Daniel. Der war ohnehin viel zu sehr damit beschäftigt, das nächste Casting vorzubereiten, um meinen Stimmungsumschwung zu bemerken.
Immerhin schaffte ich es, einen Brief an Paul Stalitzki zu schreiben, um ihm alles Gute für sein Leben nach dem Knast zu wünschen. Ich wusste, wie schwer es war, danach Fuß zu fassen. Man fühlte sich unsicher und extrem verletzlich, wie gebrandmarkt. Ich wollte ihm sagen, dass ich in Gedanken bei ihm sein würde, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wo er jetzt wohnte. Aber ich hoffe, das Gefängnis würde den Brief an ihn weiterleiten.
Gerade als ich den Gruß daruntersetzte, öffnete sich die Tür und der Bluthund trat
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