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Vor meinen Augen

Vor meinen Augen

Titel: Vor meinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Kuipers
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Beklemmung stiegen in mir auf wie Gift, also musste ich tief Luft holen.
    Sie sagte: »Du kannst mit mir reden.«
    »Ich will nicht reden. Nicht mit dir und auch sonst mit niemandem. Mir geht es gut. Ich habe jede Menge Hausaufgaben, also …«
    Sie seufzte schwer und nach einer langen UNANGENEHMEN Pause ging sie. Ich lag noch ewig auf dem Bett und versuchte, an nichts zu denken, bis ich in meiner Schuluniform einschlief. Mitten in der Nacht schälte ich mich aus den Klamotten, weil ich in kaltem Schweiß aufwachte. Vielleicht habe ich mir einen Virus eingefangen.

Donnerstag, 16. März
    Schule war langweilig. Mum fährt mich rüber zu Abigail zum Abendessen. Wenn ich anders hingekommen wäre, hätte ich ihr Angebot, mich zu fahren, nicht angenommen, denn im Moment ist die Situation zwischen uns ziemlich angespannt. Wenigstens ist Abis älterer Bruder für ein paar Wochen zu Hause, er kommt gerade von einer Reise aus Peru oder Ecuador oder so was zurück. Er erzählt dann immer echt interessante Geschichten, also wird dieses Familienessen bei Abi bestimmt gut, auch wenn Abis Schwester nicht da ist, sondern an der Uni. Ich hoffe bloß, dass ihre Mum nicht zu viel trinkt.

    Das Essen war eine Katastrophe. Als ich ankam, war Abis Mum dabei, einen Wodka nach dem anderen wegzukippen, obwohl sie schon total zugedröhnt war. Sie konnte kaum geradeaus schauen, aber sie schaffte es trotzdem, echt schmutzige Witze zu erzählen, die nicht lustig waren. Ich war erstaunt, dass überhaupt Essen auf dem Tisch stand, aber das Kochen schien sie gut hingekriegt zu haben. Ich fragte mich einen Moment lang, wie Abi sich wohl fühlte, wenn ihre Mum in diesem Zustand war. Es musste ihr sehr peinlich sein. Dann erzählte Abi mir, dass ihr Bruder noch NICHT EINMAL DA WAR. Nachdem wir gegessen hatten, gingen Abi und ich hoch in ihr Zimmer.
    Sie stand vor ihrem Schrank und zog das weiße T-Shirt raus, das mir so gefällt. Sie sagte: »Du kannst es haben.«
    »Danke.«
    »Es passt mir jetzt sowieso nicht mehr.« Sie legte ihre Hände auf ihre Hüften und seufzte.
    »Was meinst du? Du bist dünner als du die ganzen letzten Jahre warst. Es passt bestimmt total. Es sieht gut an dir aus.«
    »Meine Güte, Sophie, du bist so …«
    »So was? Ich bin so was?«
    »Ach, du weißt schon.«
    »Ich hab nur gesagt, das Shirt würde dir gut stehen.«
    »Du verstehst einfach nicht, was los ist. Tust du nie.«
    Ich sagte: »Halt mal die Luft an, Abigail«, was Rosa-Leigh wohl gesagt hätte, glaube ich.
    »Ich muss zur Zeit dauernd bei dir die Luft anhalten.«
    »Was meinst du damit?«
    »Du weißt, was ich meine.«
    »Nein, weiß ich nicht.«
    »Nimm einfach das T-Shirt und vergiss, was ich gesagt hab«, sagte sie.
    Ich warf es auf den Boden. »Ich will dein blödes Shirt doch gar nicht.«
    »Krieg dich wieder ein, Sophie.«
    »Du hast keine Ahnung, wie es ist«, stieß ich hervor.
    Sie zischte: »Wie soll ich denn auch wissen, wie es ist? Du redest ja nicht einmal darüber. Was soll ich denn machen? Es ist traurig und furchtbar und entsetzlich, und ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll. Und du hilfst mir überhaupt nicht.«
    »DIR helfen? Was meinst du, DIR helfen? Wie kannst du so gemein sein? Ich war immer diejenige, die dir geholfen hat. Ich habe dich immer unterstützt und war für dich da, und du kannst das einfach nicht für mich tun?«
    »Ach, das ist es, was ich bin? Gemein? Und was ist mit dir? Wann hast du denn Zeit für irgendjemand anders? Du hast ja nicht einmal eine Ahnung, was abgeht.« Sie begann zu weinen. Mascara verschmierte unter ihren Augen wie schwarze Asche.
    »Ich kann nicht glauben, dass du mir das antust. Ich kann nicht glauben, dass du so egoistisch bist!«, schrie ich. »Du hast keine Ahnung, wie es ist. DIE GANZE ZEIT.«
    »Ich komm einfach nicht mehr damit klar.«
    »Womit kommst du nicht klar?«
    »Mit dir!«, schrie sie.
    »Warum tust du mir das an?«
    »Ich tu dir gar nichts«, sagte sie.
    »Du schreist mich an. TYPISCH. Abi, du bist so mit dir selbst beschäftigt, so egoistisch. Du warst schon immer so. Immer bist du diejenige, über die wir uns Gedanken machen und reden müssen, und jetzt, wo mir all das passiert ist, kommst du nicht damit klar, weil du so EGOISTISCH bist. Dir ist NIEMALS irgendetwas Schlimmes passiert. In deinem Leben geht GAR NICHTS schief, und du kommst nicht damit klar, dass ich vielleicht ein wenig Unterstützung brauche.«
    »In meinem Leben passieren sehr wohl schlimme Dinge, nicht, dass

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