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Vor meinen Augen

Vor meinen Augen

Titel: Vor meinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Kuipers
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du es merken würdest. Und wie soll ich dich denn bitte unterstützen, wenn du mich nicht lässt? Du REDEST ja nicht einmal darüber!«, schrie sie.
    »Ich WILL nicht darüber reden. Ich will nicht einmal daran DENKEN.« Ich weinte jetzt, schnappte meine Tasche und rannte nach unten.
    Abis Mum wartete im Flur. Sie fragte schleppend: »Was ist los?«, strich sich die schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht und lächelte mich mitfühlend an.
    »Ich gehe nach Hause, tut mir leid.« Ich weinte.
    Sie rief nach oben: »Was hast du getan, Abigail?«
    »Es ist nichts weiter, Mrs Bykov«, sagte ich. »Ich will nur nach Hause.« Ich öffnete die Haustür und rannte hinaus. Es war dunkel und kalt. Ich rannte zur Bahnstation am anderen Ende von Abis Straße. Als ich an den Fahrkartenschalter trat, begann ich zu zittern. Mein ganzer Körper zitterte. Der Mann hinter dem Schalter sagte: »Wohin soll’s gehen?« Die fluoreszierenden Lichter tauchten alles in ein furchtbares Grau, das Grau einer Leichenhalle.
    Ich hörte das Rumpeln eines Zugs auf der Plattform. Von dort, wo ich stand, konnte ich ihn einfahren sehen. Übelkeit stieg ganz hinten in meiner Kehle auf. Ich sah zurück zu dem Mann. Ich bekam keine Luft mehr.
    Er sagte: »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Hab meine Meinung geändert«, stieß ich hervor. Ich holte mein Handy aus der Tasche und versuchte, es nicht fallen zu lassen, obwohl meine Hände so heftig zitterten. Ich fragte: »Haben Sie eine Taxinummer?«
    »Ich rufe dir eines«, sagte er.
    Ich war ihm unglaublich dankbar, doch ich war so zittrig und mir war so übel, dass ich kaum denken konnte. Die ganze Taxifahrt war irgendwie verwischt. Als ich nach Hause kam, rief ich Mum nur schnell »Hi« zu und ging sofort in mein Zimmer. Mein Mund war so trocken, und ich dachte, Wasser zu trinken würde mir helfen, aber mir wurde nur noch schlechter. Ich dachte, ich sterbe. Ich wollte Mum rufen, wollte schreien, dass ich einen Herzanfall hatte, dass irgendetwas Schlimmes mit mir geschah, aber ich hatte sogar zu viel Angst, um zu rufen. Mein Herz hämmerte in meiner Brust wie ein Specht, in meinem Nacken, in meiner Kehle, und es war das Lauteste auf der ganzen Welt. Selbst wenn ich die Finger in meine Ohren steckte, konnte ich das Geräusch nicht ausblenden. Ich stöhnte hilflos und rollte mich auf dem Bett zusammen.
    Stunden später – oder waren es Minuten? Keine Ahnung – wurde meine Atmung wieder gleichmäßiger und die verrückten Gedanken hörten auf, in meinem Kopf durcheinanderzuwirbeln. Ich weiß nicht einmal, was da mit mir los war. Werde ich langsam verrückt?

6  Fliegen tief, auf andern Wegen

Freitag, 17. März
    Dan hat heute Morgen ANGERUFEN, aber ich habe seinen Anruf verpasst, und ich bin zu schüchtern, um zurückzurufen – was sollte ich denn schon sagen? In der Schule hat Abigail nicht mit mir geredet, aber es ist mir total EGAL. Wenigstens schlägt mein Herz jetzt wieder normal.

Samstag, 18. März
    Letzte Nacht habe ich schlecht geschlafen. Ich hatte ganz grauenhafte Träume. Ich träumte, ich würde furchtbare Wesen zur Welt bringen, die ganz aus Feuer sind, und sie kreischten, als sie geboren wurden. Ich wachte auf und hatte meine Periode. Ich hasse es, meine Periode zu haben. Es ist einfach das Dümmste und Sinnloseste, was man haben kann, wenn man sechzehn ist. Ich will nicht schwanger werden (nicht, dass da irgendeine Möglichkeit bestände, selbst wenn ich es wollte). Keine Sechzehnjährige auf der Welt möchte schwanger werden, also WARUM müssen wir unsere Periode bekommen? Manche Mädchen kriegen sie schon, wenn sie erst zehn sind. Warum muss eine Zehnjährige schon die Periode haben? Meine kommt so unregelmäßig, dass ich es nie vorhersehen kann, und das nervt echt total.
    Ich hatte schlimme Bauchkrämpfe, lag mit einer Wärmflasche da und sah fern. Früher waren meine Wochenenden so vollgepackt. Samstagmorgens ging ich immer in eine Trampolinstunde, danach in Judo, abends hatte ich Theater. Danach ging ich meistens zu Abigail oder sie kam zu mir. Sonntags wachten wir zusammen auf und machten Frühstück, wir hingen zusammen ab oder gingen in die Stadt oder so was, und dann machten wir zusammen Hausaufgaben, bis es Zeit war, nach Hause zu gehen. Aber Abigail rief heute nicht an und ich werde sie auch nicht anrufen.
    Ich sah mir eine Episode einer Soap an, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Ich weinte, als ein Mädchen namens Ness mit diesem süßen Typen Martin Schluss machte,

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