Vor Schmetterlingen wird gewarnt (German Edition)
wieder aus. Sie knuffte ihr Kissen, damit es – zumindest hoffte sie das inständig – bequemer war, und unternahm einen neuen Versuch, endlich Schlaf zu finden.
„Scheiße!“ Zwölf Minuten später stützte sie sich auf die Ellbogen, nahm ihren iPod aus der Nachttischschublade und steckte sich die Kopfhörer ins Ohr. Sie startete den ersten Song ihrer Playlist für die Schlafenszeit in einer niedrigen, beruhigenden Lautstärke und atmete tief und gleichmäßig kontrapunktisch zu Bizets „Carmen“, John Barrys „Theme From a Midnight Cowboy“ sowie Delibes’ „Lakmé“.
Nur musste sie feststellen, dass die übliche einschläfernde Wirkung der sanften Musikstücke in Verbindung mit gleichmäßiger Atmung ausblieb.
Um Viertel nach fünf warf sie das Handtuch. Das führte doch alles zu nichts, also konnte sie ebenso gut aufstehen. Sie warf die Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett und setzte sich auf. Dann nahm sie ihren Bademantel, der über dem Fußende des Bettes hing.
Sie schlüpfte in das behaglich warme Kleidungsstück, band den Gürtel zu und trottete ins Wohnzimmer, wo sie die Fensterläden öffnete. Im Schein der Straßenlaterne in der Alki Avenue sah es nicht nach Regen aus. Sie ging zurück ins Schlafzimmer, wo sie sich ihren stabilsten Sport-BH anzog, ein T-Shirt sowie ihre Thermo-Laufhose. Sie machte ihr Bett, setzte sich in ihren Schlafzimmersessel, um sich ein Paar Socken und ihre Adidas Supernova Adapts anzuziehen. Dann ging sie in die Küche, wo sie sich einen Tee kochte und eine Orange und einen Joghurt aß. Als sie fertig war, wusch sie den Becher ab und absolvierte zehn Minuten lang Dehnübungen, um ihre Muskeln aufzuwärmen.
Schließlich zog sie eine Jacke über, steckte den Wohnungsschlüssel ein und eine Minidose Pfefferspray und verließ ihre Wohnung. Sie lief am Fahrstuhl vorbei und rannte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss.
Ava stieß die Sicherheitstür des Gebäudes auf. Das Erste, was sie bemerkte, waren die funkelnden Sterne am klaren nachtschwarzen Himmel. Es war windstill, was angesichts der kalten Temperaturen an diesem Morgen angenehm war. Sie überquerte die Straße, um zum Rad- und Fußweg zu gelangen, der am Wasser entlangführte. Dort stöpselte sie die Kopfhörer wieder in ihre Ohren, wählte eine jazzigere Playlist als die, die bereits als Einschlafhilfe versagt hatte, und lief los Richtung Duwamish Head. Zuerst joggte sie langsam, bis sie ihr Tempo und ihren Rhythmus gefunden hatte.
Sie konnte nicht von sich behaupten, ein großer Jogging-Fan zu sein. Doch es war eine der effizienteren Methoden, ihr Gewicht zu halten. Mehrmals pro Woche schnürte sie deshalb ihre Laufschuhe, ob sie nun Lust dazu hatte oder nicht – naschön, meistens eher nicht. Aber frühmorgens vor Sonnenaufgang herrschte eine friedliche Stimmung, wenn noch alles ruhig war. Dann hatte sie die ganze Strecke am Alki Beach für sich allein. Nur hin und wieder tauchte ein Auto auf oder der Radfahrer, der auf dem Pfad mit der Warnung „Vorsicht, rechts von dir“ an ihr vorbeizischte.
Ava schaute ihm hinterher, wie er um die Landspitze Duwamish Head verschwand, und erhöhte ihr Tempo, als sie sich ebenfalls dem Punkt näherte. Sie umrundete ihn, und als sie die Innenstadt von Seattle auf der anderen Seite der Bucht sah, ein Mosaik von Lichtern vor dem finsteren Himmel, wurde ihr leicht ums Herz. Von der Space Needle im Norden bis zu den beleuchteten riesigen orangefarbenen Kränen im niemals schlafenden Hafen im Südwesten Seattles – dieser Anblick schaffte es immer wieder, Avas Laune zu heben.
Da sich zwischen ihr und der Skyline Seattles nur noch die Bucht befand, konnte sie die Züge hören, die Neuwagen in den SoDo-Distrikt transportierten, und das klagende, zweitönige Signalhorn, während die Züge in beiden Richtungen aus der Stadt rollten. Schwach klang vereinzelt aus der Ferne das Klackern und Klappern der Eisenräder auf den Schienen herüber.
Dann verstummten die Geräusche, und die funkelnden Lichter der Skyline verschwanden, als Ava am Fischrestaurant Salty’s und der hohen Böschungsmauer vorbeilief, die die Harbor Avenue von der geschäftigen Zollstation im Hafen trennte. Ohne die Aussicht, die eine gewisse Ablenkung bot, musste sie sich wieder dem stellen, was sie die ganze Nacht verdrängt hatte.
Ja, sie hatte schlaflose Stunden damit zugebracht, sich all die brillanten, spöttischen Dinge auszudenken, die sie zu Cade hätte sagen sollen – vor und nach dem
Weitere Kostenlose Bücher