Vor Schmetterlingen wird gewarnt (German Edition)
habe vor Kurzem einen von deinen Bekannten am Set getroffen. Stan Tarrof?“
„Du liebe Zeit. Ich habe Stan seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich seit vier oder fünf Monaten nicht. Was für ein seltsamer Ort für ihn … Was, um alles in der Welt, macht ein Mann wie er an einem Filmset?“
„Er wirkt an der Dokumentation über Miss Agnes mit. Offenbar hat er als Kind nicht weit von ihr gewohnt. Er kannte sie, war aber wie die meisten deiner Freunde jünger als sie, weshalb sie keine engen Freunde oder so was waren. Er wirkt in dem Film mit, weil sein Großvater die Wolcott-Villa gebaut hat.“
„Tatsächlich? Das wusste ich gar nicht.“
„Ich auch nicht, bevor ich das Interview gesehen habe. Das gehört zu den faszinierenden Dingen, wenn man ein Teil dieser Produktion ist, und sei es ein noch so kleiner. Ich schnappe hier und dort lauter interessante Dinge auf. Zum Beispiel hat Mr Tarrof allen erzählt, wie viel ihm die alten Bauzeichnungen seines Großvaters bedeuten.“ Besonders amüsant fand Ava, was er aus der Zeit zu berichten hatte, als er und seine Brüder noch klein waren. Damals hatten sie noch keine Ehrfurcht vor der Arbeit ihres Großvaters; das Wolcott-Anwesen war einfach alt und unheimlich. Sie stachelten sich gegenseitig zu Mutproben an, die darin bestanden, an der Haustür zu klingeln und schnell wieder wegzulaufen. Ava fand den Kontrast interessant, diese Geschichten von dem heute würdevollen alten Mann zu hören.
Ihr Blick fiel auf die Uhren an der Esszimmerwand, und sie konzentrierte sich wieder auf das Telefongespräch. „Ich muss noch duschen, bevor ich zur Arbeit fahre. Aber du hast natürlich recht, wir müssen die Einladungen fertig bekommen. Also sieh dir meine E-Mail an, während ich dich an der Strippe habe. Wenn du mit meiner Idee einverstanden bist, kann ich die Bestellung beschleunigen und die Karten meinem Kalligrafen geben, damitwir sie anschließend möglichst schnell verschicken können. Ich habe eine Datei mit der Adressenliste angelegt, die du mir geschickt hast. Die geht raus an Jessamine, zusammen mit den Einladungen, sobald die Druckerei bereit ist.“
Erneut herrschte einige Sekunden lang Stille am anderen Ende der Leitung. Dann sagte Jacqueline: „Die sind zwar nicht perfekt, aber es wird gehen.“
Ava rieb sich eine kleine schmerzende Stelle zwischen den Brauen. „Also schön. Du bekommst von mir eine E-Mail, sobald ich die Einladungen verschickt habe.“
Am anderen Ende entstand eine weitere Pause, ehe ihre Mutter plötzlich sagte: „Ehrlich gesagt, sind sie doch ganz hübsch.“
Ava spürte den kleinen Funken von irgendetwas in ihrem Bauch. „Ja?“
„Ja. Sehr nett.“
„Danke, Mom.“
„Mutter.“
Ava seufzte. „Natürlich. Ich schicke dir später eine E-Mail.“
Sie beendete das Gespräch und hob die Schuhe auf, die sie während des Telefonats ausgezogen hatte. Wann würde sie endlich aufhören, sich so nach den kleinsten Anzeichen von Zuneigung ihrer Mutter zu sehnen? Sie war einunddreißig Jahre alt, um Himmels willen! Wie erbärmlich war es, in dem Alter noch nach Mamis Anerkennung zu heischen?
„Na ja.“ Immerhin ging sie heute besser damit um als früher. Vielleicht bestand noch Hoffnung für sie. Sie straffte die Schultern und stieß die Luft aus.
Dann ging sie den Flur hinunter, um sich zehn oder fünfzehn Minuten unter der heißen Dusche zu entspannen.
Später am Vormittag steckte Beks den Kopf in die Küche der Villa. „Hallo. Diese Apfeltaschen waren echt lecker.“ Sie grinste. „Wer hätte gedacht, dass Apfeltaschen ohne Zucker so köstlich sein können?“
Ava schaute von der Fruchtplatte auf, die sie neu befüllte.
„Freut mich, dass sie dir geschmeckt haben. Die schienen ganz gut anzukommen. Jedenfalls hat niemand sie auf seinem Teller liegen gelassen – das ist für gewöhnlich ein Zeichen dafür, dass ich eine gute Wahl getroffen habe.“ Sie zwinkerte Beks zu, deren klobige Stiefel fest auf dem Fußboden im Flur standen, während die junge Frau sich mit beiden Händen am Türrahmen festhielt und in das Zimmer hineinlehnte. Ihre abstehenden Zöpfe hatten heute orangefarbene Strähnen. „Willst du einfach nur so da in der Tür hängen, oder kommst du rein?“
„O Mann, ich würde gern eine kleine Kaffeepause bei dir machen. Aber leider habe ich noch zu tun. Ich bin wegen eines Auftrags hier – Cade bat mich, dich zu fragen, ob du ein paar Minuten Zeit hast. Er möchte dich im Esszimmer
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