Vor Schmetterlingen wird gewarnt (German Edition)
Flaschen in der Hand ging er zu dem Sessel am Fußende des Bettes und ließ sich hineinfallen.
Er stellte die eine Flasche auf den winzigen Tisch neben sich und leerte die andere mit einem langen Schluck bis zur Hälfte. Und während der ganzen Zeit konzentrierte er sich darauf, nicht zu grübeln.
Wie sich herausstellte, wurde es durch das Biertrinken nicht leichter. Stattdessen fragte er sich, in welchem Hotel der Latin Lover wohl wohnte. Lag es vielleicht Downtown, also nicht weit von hier? Oder draußen am Flughafen?
Verbrachte Ava die Nacht bei ihm?
„Und wenn schon?“, fragte er sich laut und pulte dabei mit dem Daumennagel das Etikett von seiner zweiten Flasche Bier. Er rutschte tiefer in den Sessel. „Du hattest deine Chance und hast sie dazu genutzt, Ava zur Witzfigur zu machen. Der argentinische Wunderknabe bringt sie zum Lachen.“ Er schüttelte den Kopf, und als er damit nicht mehr aufhören konnte, stützte er den Ellbogen auf die Sessellehne und das Kinn in die Hand. „Mann. Ihr wundervolles Lachen.“
Das war das Erste, woran er sich erinnerte – ihr Lachen. Zum ersten Mal hatte er es gehört, da waren sie noch Kinder. Solch herzliches Lachen hatte es selten gegeben in seinem Leben. Damals versuchte er jeden Tag, die Aufmerksamkeit seines Vaters zu bekommen, was beinah unmöglich war. Sein Vater lächelte so gut wie nie, und er lachte schon gar nicht. Das Gleiche galt für Cades Mutter. Die lachte wenigstens mal bei einem ihrer gesellschaftlichen Anlässe, für die sie sich permanent engagierte. Aber kaum zu Hause.
Als er daher zum ersten Mal Avas von Herzen kommendes Lachen hörte, hielt er inne. Er entdeckte ein rundliches kleines Mädchen und dachte, dass dicke Leute angeblich vergnügter waren. Irgendwie fühlte er sich zu ihr hingezogen. Zu diesem fröhlichen Lachen. Und zu ihr.
Also tat er damals das Einzige, was er tun konnte. Er suchte eine Spinne und setzte sie ihr auf die Schulter. Und bis auf diese viel zu kurzen, wunderbaren Wochen, die in seinen Verrat in der Schulkantine mündeten, ärgerte er sie immer wieder mit ähnlichen, raffinierteren Streichen.
Aber verdammt, dachte er störrisch, das ist doch lange her. Inzwischen waren sie erwachsen, nicht mehr diese furchtbar jungen Kids von damals. Er hatte es schon vorher gesagt, und er sagte es noch einmal: „Ich bin nicht mehr der, der ich damals war.“ Er hatte hart an sich gearbeitet, um nicht mehr derselbe zu sein. Ihm war nicht ganz klar, warum es ihm so wichtig war, dass Ava das wusste. Doch aus irgendeinem Grund war es ihm eben wichtig.
Dennoch …
Obwohl er sich im Lauf der Jahre immer wieder für sein Verhalten entschuldigt hatte, war er ihr eine Erklärung stets schuldig geblieben. Das wurde ihm erst jetzt so richtig klar, während Erschöpfung nach den Ereignissen des Tages ihn übermannte, als hätte man ihm den Stecker herausgezogen. Natürlich gab es keine gute Rechtfertigung für das, was er Ava angetan hatte. Aber damals kamen ihm seine Gründe einleuchtend vor.
Er würde es ihr einfach jetzt erklären. Er griff nach dem Telefon, und bei dieser Vorwärtsbewegung wäre er beinah aus dem Sessel gekippt. Er merkte, dass er schon ein bisschen betrunken war. Anscheinend war seine Müdigkeit doch größer, als er angenommen hatte, wenn zwei Flaschen Bier ihn so außer Gefecht setzen konnten.
Er stand auf und stolperte die paar Schritte zum Bett. Nach zwei Tagen mit zu wenig Schlaf und auf fast nüchternen Magen Alkohol zu trinken war nicht die beste Idee gewesen. „Ich werdees ihr morgen sagen.“
Vielleicht, schränkte er in Gedanken ein, bevor er mit dem Gesicht voran aufs Bett fiel. Noch einmal hob er den Kopf vom Kissen und versuchte sich an seinen letzten Gedanken zu erinnern. Was war das noch?
Ach ja, es wurde Zeit, reinen Tisch zu machen. Morgen würde er ihr endlich die Wahrheit sagen.
14. KAPITEL
Heute kam einfach eins zum anderen.
U m einen effektiven Betrug durchzuführen, musste man zunächst Erwartungen wecken. Tony hatte genau dies in den vergangenen Tagen getan, indem er seine Runden um das Anwesen gegangen war. Eine morgens, eine nachmittags. Als er nun durch die Haustür hinaus in das trübe Tageslicht Seattles trat, konnte er sicher sein, dass niemand etwas Auffälliges daran fand.
Falls überhaupt irgendwer darauf achtete.
Dicke, niedrige Wolken von der Farbe nassen Zements brachten immer wieder Nieselregen, während Tony seine gewohnte Route nahm. Die einzige Änderung an diesem Morgen
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