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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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lauter Eile hatte er sein Hemd angelassen und ich mein T-Shirt. Unsere Körper waren gierig gewesen. Wir hatten uns kaum mehr angesehen.
    Gierig sollte es niemals sein. Dann lieber gar nichts. Und ich hatte nur beim ersten Mal einen richtigen Höhepunkt, danach nicht mehr. Jan weiß das. Er macht sich nichts vor wie andere Männer. Es hat mich verraten. Es ist wahr, ich habe mich verschlossen, mehr und mehr, bis ich mich selbst nicht mehr sehen konnte.
    Doch er liegt in meinem Bett, im Morgengrauen, während draußen vor dem Fenster der erste Vogel zu singen beginnt. Mein arabischer Prinz, denke ich lächelnd und wische mir eine kleine, dunkle Träne aus dem Augenwinkel.
    Ich habe dir nie erzählt, dass an den Wurzeln der Bäume Edelsteine wachsen.
    Nur ich hätte es dir erzählen können. Denn nur ich weiß es.
    Vielleicht hätte ich es tun sollen.

Ewig finstere Flamme
    O kay, ich möchte gar nicht lange drum herum reden, warum ich hier bin. Es geht um mein Forschungsprojekt in Frankreich.« »Mein Forschungsprojekt« klingt gut – fast so, als sei ich der wissenschaftliche Kopf davon. Es muss ihre Aufmerksamkeit wecken. All die Themen rund um die Kirche sind schön und wichtig, doch damit kann ich nicht meine Zukunft bestreiten. Ich warte ein paar Sekunden ab, ob Mama oder Vater dazwischenfallen wollen, doch es bleibt still. Sie tauschen lediglich einen Blick aus – Mama erstaunt, Vater neutral. Das ist besser als blankes Entsetzen, also gehe ich in die Offensive. »Mein Dozent will mich unbedingt dabeihaben und ich möchte es für meine Karriere nutzen. Ich glaube, es ist gut für mich, gerade jetzt, wo ich mit der Diagnose …«
    »In Ordnung, Ronia. Ich überweise dir das Geld. Du kannst mitfahren.«
    Vaters Worte lassen sogar die Amsel verstummen, die eben noch in den Blütenbüschen neben der Terrasse eifrig vor sich hingezetert hat, weil wieder eine der Nachbarskatzen durch unseren Garten streift. Wir hören nur den Wind, der in einer flirtenden Böe die zart gestreifte Tischdecke anhebt, aufbauscht und dann wieder hinabgleiten lässt.
    War das Ironie? Nein, Vater neigt nicht zur Ironie – höchstens wenn er sauer ist, und das ist er nicht. Fröhlich wirkt er allerdings auch nicht, eher so, als warte er auf ein vernichtendes Donnerwetter. Mamas Stimme hingegen reicht nur für ein leises Keuchen, das jedoch so durchdringend ist, dass es selbst mir durch Mark und Bein fährt. Sie hat es nicht gewusst … Er hat es ganz alleine entschieden? Dinge, die mich betreffen, entscheiden sie doch stets gemeinsam. Das war eines der unverrückbaren Gesetze unserer Familie gewesen.
    »Wie bitte?« Mamas Lider klappen auf und zu wie die einer Puppe, die man schüttelt. Ihre Gesichtszüge bleiben völlig starr. Jedes Leben ist aus ihr gewichen. »Aber wir hatten doch vereinbart, dass … dass Ronia … das geht nicht!«
    »Wir haben vereinbart, dass es Bedingungen gibt. Ja. Und dass sie unter diesen Bedingungen fahren kann.«
    »Das haben wir nicht«, flüstert sie blass.
    »Hallo, ich bin auch noch da.« Ich hebe beide Hände, um sie an mich zu erinnern, auch wenn das Familiengespräch zu einem Ehegespräch verkommen ist, das keine gute Wendung zu nehmen scheint. »Dürfte ich vielleicht erfahren, um welche Bedingungen es sich handelt? Immerhin geht es um mich.«
    Mama lässt ruckartig den rechten Arm in die Höhe schnellen, um mich zum Schweigen zu bringen. Jetzt glitzern Tränen in ihren Augen, obwohl ihre Mimik immer noch gelähmt ist.
    »Wir haben gar nichts vereinbart. Das Thema war offen. Völlig offen. Und du kennst meine Meinung, Georg. In diesem Zustand und mit dieser Diagnose …«
    »Die Diagnose steht doch gar nicht fest!«, rufe ich, bevor Vater antworten kann. »Und mir geht es gut!« Zum ersten Mal beteilige ich mich an dem allgemeinen Optimismus meines Ex-Lovers, meiner Ärzte und meines Dozenten, doch in diesem Fall tut er dringend Not. »Ich bin nicht in einem Zustand. Rede mich nicht krank, Mama.«
    »Aber du bist krank!« Ihre Stimme bekommt jenes schneidende Timbre, das oft einer ihrer nächtlichen Gallenkoliken vorausgeht, und die Amsel flattert kreischend davon. »Ronia, du kannst so nicht in ein fremdes Land reisen, überhaupt hatten wir beschlossen, dass du wieder zu uns ziehst, hier bist du in Sicherheit und kannst dich in aller Ruhe auskurieren.«
    »Wodurch? Mit Rumsitzen und Abwarten? Ich hab genug davon! Außerdem hat Vater eben gesagt, dass – das hast du, oder?«, frage ich

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