Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
Geheimnisse, meine alte Seele, und was machst du? Haust ab. Ich lasse dich im Halbschlaf an meinen Körper, an meine allerempfindlichste Zone, mit dem Mund, und was machst du …?«
    »Okay, wir können das Lied an dieser Stelle beenden und sparen uns den Refrain«, fahre ich grantig dazwischen. Aber ich fühle mich auch sehr ertappt. »Ist das – also das mit dem Mund. Ist für dich was sehr Privates?«, lenke ich ab.
    »Mich von dir oral verwöhnen zu lassen, meinst du?«
    »Ja«, erwidere ich leicht beschämt.
    »Privater geht’s kaum mehr, oder? Du könntest zubeißen.« Er grinst galant. »Nein, im Ernst. Es ist privat für mich, sehr sogar. Genauso wie für dich. Da gibt’s in dem Moment keinen Unterschied.«
    »Ist aber nicht bei allen so.«
    »Ich bin nicht alle. Ich bin ich. Außerdem, ich wollte …« Noch einmal taucht er unter und wieder auf. »Ich wollte, dass etwas bleibt. Freier Raum für mehr Nähe. Falls wir uns doch noch besser kennenlernen.«
    »Meinst du …«, beginne ich vorsichtig, als er nicht weiterredet. »Meinst du, ohne Kondom? Und vollendet?«
    »Ja, du Unvollendete.« Er schiebt sich mit dem Oberkörper aus dem Wasser und legt seine Unterarme auf den Wannenrand. Meine Augen bleiben an seinen Brustwarzen hängen, unter denen Reste von Schaum glitzern. »Ich hatte in meinem Leben nicht so viele Frauen, wie andere gern erzählen, aber du bist auch nicht die Unschuld vom Lande. Wir sollten schon auf Nummer sicher gehen.«
    »Ich wurde getestet. Im Krankenhaus. Alles gut.« Ich lache bitter auf. Alles gut. Von wegen. Ich hab multiple Sklerose.
    »Okay. Und ich lass mich morgen testen. Für all die Frauen, die nach dir kommen, denn du willst mich ja nicht mehr.«
    »Jan …«, sage ich drohend und hebe spielerisch meine rechte Hand, als wolle ich ihm eins über die Rübe ziehen.
    »Kannst mich nachher schlagen. Jetzt wäre es besser, wenn du verschwindest.«
    »Du schmeißt mich aus meinem Badezimmer?«
    »Ich muss mal auf den Thron, wenn du es genau wissen willst. Kannst auch bleiben, aber ich weiß nicht, ob das unbedingt zu deinen heimlichen Fantasien gehört.«
    »Gehört es definitiv nicht.«
    Grinsend und verlegen zugleich erhebe ich mich, ziehe die Tür hinter mir zu und hüpfe in drei Sprüngen zu meinem Zimmer. Oh, ich hasse seine Offenheit und ich liebe sie. Beides zugleich. Ich werfe den Bademantel ans Fußende des Bettes, schlüpfe unter die Decke und warte, bis ich Jans Schritte auf dem Flur höre. Mit seinem üblich guten Radar steuert er direkt mein Zimmer an. »Sei froh, dass du mich vor ein paar Stunden nicht erlebt hast«, begrüßt er mich leutselig, nachdem er das Handtuch von den Hüften gestreift und sich neben mir ins Bett geschoben hat. »Das hätte alles entweiht. Ich hab dem Douglas ans Schaufenster gekotzt. Sah nett aus.« Ohne zu fragen, zieht er mir die Decke halb vom Körper, um sie über seinen Bauch zu legen. »Eine Information, die ich niemals haben wollte«, erwidere ich trocken und drehe mich zu ihm. »Sag mal, bereust du eigentlich nie etwas in deinem Leben?«
    »Nur den fünften Wodka Lemon von heute Abend. Nö, ansonsten nichts.«
    »Du solltest trotzdem wissen, dass du mit dieser Anekdote jede sexuelle Aktivität mit mir erst einmal auf die Wartebank des Vergessens befördert hast.«
    »Ist vielleicht nicht verkehrt. Das mit dem Sex ist manchmal verwirrend, finde ich.« Entspannt atmet er aus, ohne sich an mich zu kuscheln oder mich anzusehen.
    »Verwirrend?« Nein, nicht fragen, wie er das meint. Bitte nicht. Diese Frage muss ich mir dringend abgewöhnen.
    »Es kann einen voneinander entfernen. Dazwischenstehen. Du hast dich von mir entfernt, immer mehr. Hast dich verschlossen. Das letzte Mal …« Er schläft schon fast. Sein Gesicht zeigt kaum mehr Regungen, nur sein Mund bewegt sich noch. Ich würde ihn so gerne küssen, doch noch schöner ist es, ihn anzusehen, wie er neben mir im Bett liegt und der Schlaf ihn sich zu holen beginnt. Alles andere habe ich längst wieder vergessen, auch die Frau, die er beinahe verführt hat. »Wir haben uns was genommen, voneinander, aber … es war nicht so wie … wie …«
    »Wie es sein sollte«, vollende ich seine Worte traurig, ohne dass er sie hören kann, denn er ist mitten im Satz eingeschlafen. Ich weiß es auch. Ich hatte es ähnlich empfunden. So wenig geredet wie beim letzten Mal hatten wir noch nie. Es stand außer Frage, was passieren würde, es war sogar klar, wie es ablaufen würde. Vor

Weitere Kostenlose Bücher