Vor uns die Nacht
hirnverbrannt. Niemals hätte ich gedacht, dass sich tief in mir drin die Seele einer Stalkerin verbirgt. Ich bin fixiert. Das muss aufhören. Es ist mein erster Vorsatz für das neue Jahr und ein besseres Leben: nicht mehr an Jan denken.
Aber wenn ich ihm heute begegnet wäre, hätte sich diese Fixierung möglicherweise von ganz alleine gelöst. Mit Sicherheit hätte ich eine vortreffliche Bestätigung dafür bekommen, dass er genau jenes Arschloch ist, wofür ich ihn halte – und Jonas auch. Wir hätten friedvoll einer Meinung sein können.
»Hier.« Johanna drückt mir ein Bier in die Hand. Klackend stoßen wir an, doch ich gebe ihr meines nach dem ersten Schluck gleich wieder zurück.
»Hältst du mal? Ich muss für kleine Mädchen.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein, warte einfach hier.« Johanna zuckt nur mit den Schultern; sie ist meinen Befehlston, den ich in mieser Stimmung an mir habe, von Kindestagen an gewöhnt, auch wenn sie sich immer noch nicht damit abfinden kann, dass ich es hasse, zusammen mit anderen Frauen zur Toilette zu gehen. Wenn ich weiß, dass mir jemand beim Pinkeln zuhört, brauche ich ewig. Außerdem gehe ich meistens aufs Klo, um mal kurz alleine sein zu können, und nicht, weil ich muss.
Das Bad liegt am anderen Ende des dunklen Flurs und ist, wie befürchtet, besetzt. Seufzend stelle ich mich in das kleine Eck neben der Tür, schließe die Augen und warte. Vielleicht haue ich einfach ab. Ohne aufs Klo zu gehen. Genau, ich verdrücke mich, nehme mir ein Taxi zurück in die Stadt und bleibe wach, bis Jonas nach Hause kommt … oder ich …
»Na ja, sie war halt etwas – ihr wisst schon …« Schlagartig bin ich zurück in der Gegenwart und so aufmerksam, dass meine Ohren ihr Hörvermögen verdoppeln. Das war Lukas’ Stimme, eindeutig. Sie drang durch die angelehnte Tür schräg gegenüber. Jetzt lacht er verlegen, doch es klingt gekünstelt. Wen meint er mit »sie«? Etwa mich? Redet er da drinnen mit seinen Kumpels über mich?
»Hopp, sag schon …«, fordert ihn jemand mit schwerer Zunge auf und rülpst kräftig. Ich erkenne ihn nicht eindeutig. Max? Oder Stephan? Nein, es muss Max gewesen sein. »Ich meine, sie ist doch ein hübsches Mädel.«
»Merci«, flüstere ich angesäuert und spüre, wie mir übel wird. Ich sollte nicht zuhören. Nicht, weil mich das nichts angeht, denn es geht mich etwas an, und wie. Sondern weil ich ahne, dass gleich Granaten durch die Luft fliegen werden.
»Hübsch isse schon, auf ihre Weise«, gibt Lukas leutselig zu. »Aber na ja … hat sich bisschen doof angestellt. In der Horizontalen.«
Mein Gesicht wird so heiß, dass ich meine Wange an die kühle Wand drücke und leise aufstöhne. In der Horizontalen? Er spielt doch nicht etwa darauf an? Aber was sollte er sonst meinen? Seine Kumpels lachen verständnisvoll und abfällig zugleich und ich wittere darin unverkennbare, fast lüsterne Neugierde. Sie wollen mehr wissen.
»Die ist irgendwie verklemmt«, redet Lukas weiter. Das Lachen seiner Freunde hat ihm Mut verliehen. »Kriegt die Beine nicht richtig auseinander.«
»Du elende Missgeburt …«, zische ich und balle meine Fäuste. Das ist nicht wahr, was er da sagt, sondern erstunken und erlogen. Außerdem – was hätte ich in den zwei Minuten schon großartig machen sollen? In solch einer kurzen Zeitspanne schafft man es ja nicht mal, sich eine Kamasutra-Anleitung durchzulesen. Ja, vor dem Akt war er Casanovas Reinkarnation gewesen, Massagen, Musik und viel Fummeln. Aber sobald wir nackt waren, hat er Rekordgeschwindigkeiten aufgestellt. Ich weiß, es lag nicht an mir, es kann nicht an mir gelegen haben, doch ich zittere am ganzen Körper, während das Lachen seiner Kumpels kein Ende nehmen will.
»Echt, sieht man der gar nicht an. Ist doch ’ne heiße Braut …«
Jetzt sind diese Worte kein Kompliment mehr. Niemand hat das Recht, so über mich zu sprechen. Weder ein Ex noch seine Kumpels. Ich sollte zu ihnen gehen und sie konfrontieren, doch was würde es ändern? Gar nichts. Dieses Bild ist in ihren Köpfen und mein Protest würde es nur bestätigen. Ronia, die die Beine nicht auseinanderkriegt. Es ist die Hölle.
»Ja, aber die ist auch irgendwie komisch.« Lukas senkt seine Stimme, sodass ich ihn kaum mehr hören kann. »Die macht einem Angst. Mit ihren riesigen Puppenaugen. Und gleichzeitig liegt sie da wie ein Brett. Mit der stimmt was nicht.«
Das reicht. Ich drehe mich um und hämmere mit beiden Fäusten gegen die
Weitere Kostenlose Bücher