Vor uns die Nacht
Badezimmertür. Fast im selben Moment öffnet sie sich und ein Pärchen mit glasigem Blick stolpert mir grinsend entgegen. Passt ja zum Thema, denke ich grimmig, als ich hineinhechte und sofort abschließe. Gehetzt blicke ich mich um. Meine volle Blase interessiert mich nicht mehr, ich muss hier weg; je schneller, desto besser. Wenn ich Lukas da draußen begegne, bringe ich ihn um. Ich fühle mich so gedemütigt, dass ich laut schreien möchte; ich sehne jemanden herbei, der mich heilt und von dieser Schmach befreit – und gleichzeitig möchte ich nie wieder einem anderen Menschen begegnen, niemandem auch nur ein Wort davon erzählen. Was sinnlos ist, denn es wird die Runde machen. Keine Frage. Ronia Leonhard kriegt die Beine nicht auseinander. Ein Brett mit Puppenaugen. Verklemmt. Jagt einem Angst ein. Wieso tut er das? Was gibt es ihm, solche Märchen aufzutischen? Machen das alle Männer – über die Bettqualitäten ihrer Ex-Freundinnen lästern? Wenn ja, werde ich auf der Stelle lesbisch. Würde ja bestens mit seinen Theorien harmonieren. Mit der stimmt was nicht.
Meine Augen finden, was sie suchen – dieses Bad hat ein Fenster und das Loft liegt im Erdgeschoss. Ich gehe nicht mehr zurück. Und ich will zu Jonas … Oh verdammt, warum ist er nicht da, wenn man ihn wirklich braucht? Ganz spontan musste er einspringen, weil ein Kollege krank wurde und jeder weiß, dass Jonas niemals über einen Einsatz an einem Tag murren würde, an dem alle anderen feiern möchten. Ich glaube, er war sogar fast erpicht darauf, heute auf Streife gehen zu können. Aber ich brauche ihn jetzt und hier.
Jonas würde so etwas niemals tun. Derart über mich sprechen. Und wenn ich bei ihm noch so versagt hätte, niemals würde er sich auf eine solch niederträchtige Weise an meiner Seele und an meiner Würde vergehen. Lukas hat mich in den Dreck gezogen. Dabei war er es doch, der die Beziehung beendet hat. Hat er denn gar keinen Anstand im Leib?
Das Fenster lässt sich problemlos öffnen und mein Entschluss ist sowieso längst gefallen. Ich habe zwar keine Jacke an und meine Handtasche hängt um Johannas Schulter – doch das ist mir egal. Es hat aufgehört zu regnen; kalt ist es auch nicht. Besser könnte ich es nicht treffen. Wenn ich schnell laufe, wird mir warm bleiben. Mit beiden Händen fege ich die Lotionen, Duschgeltuben, Zahnbürsten und Klopapierrollen von der Fensterbank, klettere auf das Sims und springe trotz meiner hohen Absätze mit einem Satz nach unten auf den Bürgersteig. Sofort fange ich an zu laufen, obwohl ich gar nicht genau weiß, wo ich bin. Doch so verkehrt kann es nicht sein, mich erst einmal vom Fluss zu entfernen. Nach der nächsten Biegung sehe ich in der Ferne die Turmspitzen des Doms hinter den Häuserdächern auftauchen. Dorthin muss ich mich orientieren. Jetzt kenne ich mich wieder aus.
Notgedrungen bremse ich mein Tempo, weil ich bereits nach wenigen Metern außer Atem bin. Aus der Stadt dröhnen noch vereinzelt Raketen und Böller und zeitgleich erhellen bunte Funken den Nachthimmel. Doch hier, abseits des Zentrums, ist fast niemand unterwegs und die Gegend gefällt mir mit jedem Schritt weniger. In diesem stillgelegten Industriegebiet gibt es kaum Wohnhäuser; einige Bands haben Proberäume angemietet und Künstler Ateliers bezogen, aber ansonsten kenne ich die breite Straße nur vom Durchfahren – sie führt aus der Stadt, hinaus in die Erholungsgebiete der Auen, wo Johannas Großeltern einen kleinen Schrebergarten haben. In diesem Viertel geht man nachts nicht spazieren. Nicht einmal, wenn man einen Hund hat.
Ist das nicht die Gegend, von der Jonas neulich gesprochen hat? Tierheim? Nein, das muss ein Stück weiter westlich liegen, näher am Ufer, hinter der Brücke. Nun beschleunige ich meine Schritte wieder. Die Straße erscheint mir zu breit und zu leer und die Absätze meiner Stiefel hallen zu laut. Ich versuche, mein Gewicht auf die Zehenspitzen zu verlagern, um die Lautstärke meiner Schritte zu dämpfen. Hier gibt es keine kleinen Gassen wie im Zentrum und in der Altstadt, in denen man sich jederzeit verbergen kann – da ist nur diese elend breite Straße und … Oh nein.
Obwohl ich weiß, dass es mich und meine Unsicherheit verrät, bleibe ich stehen. Auch sie verharren kurz, kommen ein paar Schritte näher, verharren wieder. Sie lauern. Drei Typen, der eine bullig mit Springerstiefeln, die anderen beiden schmaler und sichtlich schwankend. Jetzt wirft einer von ihnen achtlos einen
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