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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Hang zum Frauenverführen ein für alle Mal zu vergessen. Außerdem sind vielleicht ein paar nette französische Studenten mit von der Partie, wer weiß. Das Tolle an Ausgrabungen ist, das man stundenlang zusammen auf der Erde sitzt und gar nicht umhinkommt, sich miteinander zu unterhalten – und wenn es nur abends beim Zusammentragen der Ergebnisse ist. In einer gallischen Müllgrube kann mir außerdem kein Mann so schnell davonlaufen.
    Blitzartig löst sich meine Starre. Wie ein aufgescheuchtes Huhn flitze ich zurück ins Bad, belasse es bei einem ganz und einem halb rasierten Bein, wische mir notdürftig die Schaumreste von der Haut und ziehe mir meine Laufklamotten über. Mit einem Blick nach draußen vergewissere ich mich, dass die Sonne immer noch scheint. Es ist bereits der zehnte März und der erste warme Frühlingstag, also wie geschaffen für die andere Seite. Denn heute wird die Promenade von übermotivierten Joggern wimmeln. Einige kenne ich bereits vom Sehen, wir grüßen uns sogar, aber Gesellschaft will ich nicht und erst recht keinen Laufkollegen – ich will für mich sein, wenn ich laufe. Oder eben unbeobachtet, falls ich doch …
    »Stopp«, herrsche ich mich an. Die anderen Jogger gehen auch nicht an den Fluss, um amouröse Abenteuer zu provozieren. Es wird mir guttun, mich auszupowern. Dieses Mal wird es mir guttun. Es wird …
    Beim Blick auf mein Handy kollabieren meine Gedanken und ich bleibe doch noch einmal stehen, obwohl ich es kaum erwarten kann, an die Luft zu kommen. Ich muss es ihnen jetzt sagen. Wenn ich das nicht sofort hinter mich bringe, wird es mich den ganzen Lauf verfolgen. Dann wird es kein schöner Lauf sein. Meine Nasenspitze wird kalt und mein Nacken heiß, als ich ihre Nummer wähle. Sofort nimmt Mama ab.
    »Ronia? Ich hab vorhin versucht, dich zu erreichen, aber es war besetzt. Wo bleibst du denn? Du wolltest mir doch helfen, die Kirche zu dekorieren.«
    Dumme Entscheidung, Ronia. Sehr dumme Entscheidung.
    »Mama, entschuldige, das habe ich vergessen und ich schaffe das auch heute nicht mehr, aber ich rufe wegen etwas anderem an, was viel wichtiger ist …«
    Mama schnauft so laut, dass ich es hören muss, und ich verspüre den Wunsch, sie anzufauchen. Nein, natürlich kann nichts wichtiger sein, als den Altar mit Weidenkätzchen zu dekorieren. Warum macht sie es nicht alleine? Oder mit Frau Kehrlein? Die brennt doch darauf. Ich hab es eh immer falsch umgesetzt, nie war es recht. Außerdem bin ich nicht ihre persönliche Angestellte. Ich habe keinen Pfarrer geheiratet, ich bin nur seine Tochter und selbst das hab ich mir nicht ausgesucht.
    »Es ist wirklich wichtig«, beharre ich in bemüht freundlichem Ton. »Ich hab die Möglichkeit, an einer Ausgrabung in Frankreich teilzunehmen. Im Spätsommer.«
    »Ach so«, antwortet Mama nach einer kurzen Kunstpause latent desinteressiert. »Wieder ein Praktikum?«
    »Nein. Ein echtes Forschungssemester, das voll anerkannt wird.«
    »Ein ganzes Semester?«, fragt sie gedehnt und hörbar beunruhigt.
    »Ja, vier Monate.« Ich fühle mich, als würde ich ein Verbrechen gestehen, voll und ganz schuldbewusst. »Aber in zwei Päckchen, Herbst und Frühjahr, dazwischen bin ich hier und wir dokumentieren die Ergebnisse und ich muss auch nur für Kost und Logis aufkommen.«
    »Nur? Ronia, Kind, das ist Frankreich, Frankreich ist ein teures Land und …«
    »Aber nicht in Gallien! Nicht dort«, widerspreche ich eifrig.
    »Gallien«, echot Mama und dieses eine Wort birgt so viele Untertöne, dass ich mir gar nicht die Mühe machen möchte, sie zu filtern. Sie muss denken, ich habe mich in der Parallelwelt eines Asterix-Heftchens verloren. Mama hat sich noch nie aufrichtig dafür interessiert, was ich in meinem Studium eigentlich genau tue.
    »Ronia, das können wir uns nicht leisten, das weißt du.«
    »Aber das ist doch Quatsch!« Jetzt habe ich keine Geduld mehr. Mein Ton wird laut und unüberhörbar fordernd. »Erzähl mir keine Märchen, Mama, Vater ist Pfarrer, er verdient wahrlich genug und ich bin das einzige Kind, das sollte bezahlbar sein, es geht immerhin um meine …«
    »Wir reden morgen darüber. Ich muss in die Kirche.« Das ist mal wieder typisch. Probleme werden vertagt. Wenn die Kirche nach ihren Weidenkätzchen ruft, ist sowieso alles andere nebensächlich. »Wir sind auch nicht dein persönlicher Klingelbeutel, Ronia. Bis morgen, und sei pünktlich, ja? Wenn du schon heute nicht kommst.«
    Ehe ich antworten kann, hat

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