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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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unpassenden Lächeln auf den Lippen. Ich weiß genau, wen Johanna meint, aber in dem Moment, als sie »schönster Mann der Stadt« sagte, hat ein anderer seinen Auftritt inszeniert und er ist ihm wie immer beneidenswert gut gelungen. Plötzlich tauchte seine Gestalt wie herbeigezaubert zwischen den Bäumen auf. Und da steht er nun, etwas abseits, die Arme in meditativer Gelassenheit hängend, den Rücken gerade, um den Hals einen hellen Schal geknotet, der seine abgewetzte Lederjacke nur zusätzlich betont, und schaut gewohnt gleichgültig zur Band hinüber, die wieder angefangen hat zu spielen.
    Ich mustere ihn ungeniert wie immer, während ich Johannas Blick wahrnehme wie einen lästigen Schwarm Schnaken, der neben mir durch die Luft wuselt – er gefällt mir nicht, aber er ist auch nicht wichtig. Nicht für das, was ich in diesem Augenblick empfinde. River ist hier. Nur das zählt. Heute Nacht, wenn ich über Johannas und meinen Streit nachdenke, werde ich traurig und ärgerlich werden – aber jetzt?
    »Oh Gott, Ronia. Nicht der. Du willst mich provozieren, oder? Was … Oh nein.« Es ist Johannas Aufrichtigkeit, die mich einen Moment wach und aufmerksam werden lässt.
    »Ich gucke doch nur.« Wie er. Ja, nun schaut er auch.
    »Ich kenne deinen Blick und er hat dich gerade angeblickt, als …«
    Johanna sucht nach Worten. Ich habe ebenfalls keine mehr. Schon wieder bemächtigt sich das Lächeln meines Gesichts, ich kann nicht anders. Er hat mich wirklich angeschaut, nur kurz, aber es war der absolute Hollywood-»Hey, Baby«-Blick. Es ist mir egal, dass er ihn aufgesetzt hat, weil er genau kapiert, was hier abgeht, und ein bisschen Benzin dazukippen wollte. Aber auch ich kann meine Augen zu Eis werden lassen. Gleichzeitig steigt wieder dieses überwältigende, ziehende Gefühl in mir auf, ihn schon länger zu kennen, als ich mich selbst kenne. Ich will zu ihm. Aber das darf er nicht wissen.
    »Tu das nicht, Ronia, flirte nicht mit dem, ehrlich. Der ist bestimmt mies zu Frauen und außerdem …«
    »Musst es mir nicht sagen, Jonas hat mir schon einen Vortrag gehalten und ich habe nichts mit ihm laufen. Mach dir keine Sorgen, ich weiß, mit wem ich mich abgeben kann und mit wem nicht.«
    Nur durch Jans Auftauchen hat sich die Situation komplett gewendet. Nicht ich bitte Johanna, die Finger von einem Mann zu lassen, sondern sie bittet mich darum. Schon holt sie Luft, um erneut zu argumentieren, doch ich drehe mich mit einem geflüsterten »Entschuldige bitte« von ihr weg und haue ab. Die Situation überfordert mich maßlos. Ich höre nur noch »Drogen« und »spielt mit deinen Gefühlen« durch das Stimmengewirr der Menschen dringen, dann habe ich Johanna hinter mir gelassen und schlendere an Jan vorüber. Weit genug entfernt, dass es Zufall sein könnte, aber nah genug, dass er mich nicht übersehen kann.
    Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll, nach Hause will ich nicht, auf dem Brunnenfest bleiben aber auch nicht. Es scheint in dieser Nacht keinen passenden Platz für mich zu geben. An meine Eltern und das Pfarrhaus will ich gar nicht erst denken. Aber was ist mit der Uferpromenade? Aufs Wasser schauen und innerlich abkühlen? Es ist das Beste, was ich jetzt tun kann.
    Doch auf halber Strecke verlässt mich der Mut. Wie ein Kind, das Mist gebaut hat, setze ich mich in geduckter Haltung auf eine der Bänke am Rande des Festgeländes, ziehe die Knie an und lege meine Wange darauf ab. Schon nach wenigen Atemzügen fühle ich mich wie erstarrt, als könne ich mich nie wieder von dieser kalten Bank lösen. Dieser Abend fing doof an, ging doof weiter und hat jetzt sein himmelschreiend doofes Ende erreicht. Schuld daran ist eine doofe Henne namens Ronia. Das mit Johanna und mir beginnt in meinem Bauch zu beißen. Ich bereue es, mich so dominant benommen zu haben. Aber noch ätzender ist der Gedanke, dass sie Max in ihrem Zorn erst recht dazu ermuntern wird, ein paar geheime Dinge über ihre verrückte Freundin auszupacken – was sie wiederum darin bestätigen wird, dass ich ein handfestes Problem mit Männern habe und ihr Max deshalb nicht gönne.
    »Was für eine Scheiße«, seufze ich flüsternd und schließe für einen Moment die Augen. Wenn ich noch länger hier sitze, hole ich mir eine Blasenentzündung, eine passende Vollendung dieser gnadenlosen Aneinanderreihung von Missverständnissen und Fehlentscheidungen.
    »Kommste mal mit? Dieser Ringelpietz hier ist doch was für Spießer.«
    Ich lasse meine Wange noch

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