Vor uns die Nacht
lecken.
»Ich dachte, es wäre mal Zeit, dass du dich bei deinen Rettern bedankst.«
»Meinen – meinen Rettern? Das heißt … sie haben …?« Nein, genug gestottert heute Abend. Ich weiß sowieso nicht, was ich sagen soll, und es wäre auch unnötig. Auf einmal passt alles zusammen. Jonas hatte es selbst erwähnt. Aus dem Tierheim sind in der Silvesternacht Hunde entlaufen. Dieser Vorfall war der Polizei gemeldet worden. Die Prügelei nicht. Doch die Hunde sind nicht wegen des Feuerwerks abgehauen, Jan hat sie rausgeholt und auf die Typen gehetzt, als er sah, was los ist. Hat er mich deshalb angeschrien, dass ich verschwinden soll? Weil sie möglicherweise nicht unterschieden hätten, wer Freund und wer Feind ist? Aber warum habe ich sie nicht gesehen?
»Überraschungsangriff«, antwortet er, als könne er lesen, was in meinem Kopf vor sich geht. »Ich hab sie in dem Moment gerufen, als die Schwachmaten nicht mehr damit gerechnet haben. Das kann ich hiermit, ohne meine Stimme zu erheben.« Er deutet auf seine Stirn. »Drittes Auge.«
Natürlich. Er hat nicht nur eine gesegnete Intelligenz, sondern verfügt auch über reichhaltige übermenschliche Fähigkeiten. Wer’s glaubt, wird selig. Trotzdem überwinde ich meine Scheu, knie mich ebenfalls nieder und strecke dem Rüden meine bloße Hand hin. Er begnügt sich damit, an ihr zu schnüffeln, sodass ich mich traue, sie auf seinen Kopf zu legen. Ich kann seine geballte Kraft unter seinem Fell spüren, doch in seinen blutunterlaufenen Augen sehe ich auch, dass er alt ist.
»Die will keiner mehr. Sind seit Jahren hier. Werden im Heim sterben. Ich hol sie ab und zu raus, damit sie mal was von der Welt sehen. War in der Silvesternacht dein Glück.«
Grunzend lässt sich der Rüde auf alle viere fallen und streckt Jan seinen Bauch hin, damit er ihn dort krault – was er umgehend tut, zärtlich und liebevoll. Auch die anderen lassen sich auf der Erde nieder. Nun hocken wir hier, Mann, Frau, drei Hunde, und zelebrieren ein semikriminelles nächtliches Sit-in. Ist das denn überhaupt kriminell, nachts ins Tierheim einbrechen und Hunde ausführen, die keiner mehr haben will?
»Jan, warum machst du das nicht tagsüber? Wieso nachts?«
»Schlecht fürs Image. Außerdem hab ich sonst keine Zeit für solche Aktionen. Geht’s dir eigentlich wieder gut?«
Er schaut mich nicht an, seine Hände bleiben auf dem hellen Hundebauch. Ohne nachzufragen, weiß ich, worauf er anspielt. Eigentlich müsste ich endlich fragen, ob es ihm gut ging nach der Prügelei, und nun fragt er mich – oh, verdammt, das ist zu nett. Es jagt mir eine Heidenangst ein.
»Was nicht tötet, macht härter, oder?« Mein Grinsen verkommt zur Farce. Mir ist eher nach Weinen zumute. Jan ist der einzige Mensch, der von dieser sexuellen Nötigung weiß. Nur mit ihm kann ich darüber sprechen. Wir haben den ersten friedlichen Moment, einen Moment ohne Streit, wenn auch im illegalen Bereich – aber ich habe Angst, heulen zu müssen. Noch größere Angst habe ich davor, ihn dadurch gleich wieder zu verprellen.
»Sehe ich auch so.« Schlagartig weichen meine drohenden Tränen einer erschöpfenden Ernüchterung. Wie hatte ich nur glauben können, er sei ein Tröster? Nein, er sieht das genauso. Was nicht tötet, macht härter. Eine Beinahe-Vergewaltigung gehört doch zu jedem anständigen Frauenleben dazu.
»Und jetzt, gehst du mit ihnen Gassi?«
»Heute nicht. Zu viel los da draußen. Und du? Stürzt dich wieder in den Zickenkrieg mit Pocahontas?« Jan erhebt sich und sofort tun die Hunde es ihm gleich. Er ist ihr Boss. Ja, er hat ihnen sogar beigebracht, leise zu bleiben, wenn er unbefugt aufs Gelände geht. Niemals würden sie ihn verraten.
»Sie ist keine Zicke«, springe ich für Johanna in die Bresche.
»Du schon«, kontert er mit einem fast gehässigen Grinsen. »Kampfkatze. Hast hübsch deine Krallen ausgefahren. Habt ihr euch aus Versehen den gleichen Lippenstift gekauft oder was war los?«
»Ach, leck mich doch«, fauche ich, drehe mich um und marschiere dem Törchen entgegen, das ich notgedrungen überklettern muss, um hier wieder rauszukommen. Doch das Lauftraining macht sich bezahlt. Als würde ich so etwas täglich tun, springe ich ab, setze einen Fuß auf die obere Kante und nutze den Schwung, um zur anderen Seite zu federn. Meine eigene Energiewelle treibt mich weiter nach vorne – und ich weiß genau, wohin es mich zieht. Johannas und mein Favorit der romantischen Orte war das
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