Vor uns die Nacht
immer stiller werde, weil ich Angst habe, jede meiner Bemerkungen könne ihm einen Anlass bieten, mir zu zeigen, dass er weiß, was ich belauscht habe, warte ich mit zunehmender Übelkeit darauf, endlich eine Gelegenheit zu erwischen, unter vier Augen mit Johanna zu sprechen. Denn sie klebt an ihm. Schaut bewundernd zu ihm auf, lacht zu viel, ist zu frech, zu lebenslustig, so kenne ich sie nicht, sie war doch immer das stille, scheue Reh und ich diejenige, die mit ihren unqualifizierten Spontanaktionen die Lacher auf ihrer Seite hatte. Im schnellen Begeistern war ich immer gut – nur eben nicht darin, den Spannungsbogen zu halten. Jetzt aber starre ich verkrampft vor mich hin und kann mich nur ab und zu zu einem gekünstelten Lachen hinreißen lassen.
Erst nach zwei Stunden, als die Band ihr erstes Set beendet hat, muss Johanna endlich aufs Klo – oder, wie sie charmant sagt: »Für kleine Königstigerinnen«.
»Warte, ich komm mit«, verkünde ich hastig und springe auf, bevor Chiara oder Suse es tun können.
»Du? Sind ja ganz neue Sitten«, amüsiert sich Johanna. Ihre Wangen glühen und ihre Augen strahlen, aber irgendetwas an ihrem Gehabe ist nicht echt. Da stimmt was nicht. Weiß sie etwa schon davon? Er wird ihr es doch nicht brühwarm erzählt haben …
»Max ist nicht der Richtige«, haue ich kurz vor dem Toilettenwagen ohne Umschweife raus, was ich in den vergangenen Stunden gedanklich versucht habe, in hieb- und stichfeste Argumente zu verwandeln. Aber die Wahrheit ist, dass ich Max nicht kenne und nichts über ihn weiß, was ich gegen ihn verwenden könnte.
»Was!?« Johannas Gesicht verfinstert sich schlagartig. »Das meinst du nicht ernst, oder?« Jetzt bin ich diejenige, die sie zur Seite zieht, bis wir abseits des Wagens im Schatten einer Kastanie stehen. Auch hier sind noch viel zu viele Menschen unterwegs, aber wir können reden, ohne schreien zu müssen.
»Doch. Glaub mir, Josy, er ist nicht der Richtige. Ich spüre das.«
»Du spürst das. Okay, Ronia …« Johanna bekommt einen Tonfall, den ich sonst von ihr nur kenne, wenn sie sich gegen ihre exaltierte Mutter zur Wehr setzt. Dann wird Bambi zum abweisenden Kampfreh. Aber noch nie hat sie so mit mir geredet. »Kann es sein, dass du mir das nicht gönnst? Du schaust schon den ganzen Abend so verbiestert drein.«
»Ich bin überhaupt nicht verbiestert«, erwidere ich erzwungen ruhig, obwohl ich mich selten verbiesterter gefühlt habe als in diesem Moment. Mein Herz rast vor innerem Widerstand. Ich finde es schrecklich zu streiten, erst recht, wenn es mit Johanna passiert. »Ich möchte nur nicht, dass du dich unglücklich machst. Er ist einer von Lukas’ Kumpels.«
Klasse Argument, Ronia, beglückwünsche ich mich säuerlich. Das ist ja wie im Kindergarten.
»Sippenhaft, was?« Johanna plustert sich auf und stemmt die Arme in die Seite. »Nur weil Lukas mit dir Schluss gemacht hat, darf ich keinen Freund haben?«
»Nein, das hab ich doch gar nicht gesagt! Ich denke, dass er nicht der Richtige ist, und außerdem ist er mit Lukas befreundet, und wie Lukas drauf war, das …« Ich beginne zu stottern und breche resigniert ab. So wird das nichts. »Glaub mir. Das geht nicht gut. Triff ihn nicht mehr. Bitte.«
»Du spinnst ja wohl. Du kannst mir doch nicht vorschreiben, mit wem ich mich treffe. Ronia, ich verstehe dich nicht, ich dachte, wir sind Freundinnen! Warum gönnst du mir es nicht? Wir hatten doch noch nie Stress wegen einem Kerl! Wir haben uns geschworen, dass uns das nicht passiert.«
Ja, und das haben wir immer gut hinbekommen. Es geschah tatsächlich ein paarmal, dass wir uns in denselben verguckten, vor allem in der Mittelstufe, aber wir hatten ein gutes Timing. Entweder tat ich es zuerst und dann Johanna oder umgekehrt. Nie buhlten wir zeitgleich um denselben Jungen.
»Bitte triff ihn nicht mehr«, wiederhole ich stur, was ich eben schon einmal gesagt habe, denn ein anderes Argument habe ich nicht. »Sonst treffe ich dich nicht mehr.«
»Das ist Erpressung.« Johannas Augen sind so schmal geworden, dass sie nur noch aus Wimpern zu bestehen scheinen. »So was mache ich nicht mit. Ich sag dir, worum es hier geht: Du erträgst es nicht, dass du niemanden hast und ich mich gerade verliebe, und zwar glücklich. Ich kapier echt nicht, warum, denn du brauchst ja nur mit den Fingern zu schnipsen, um den schönsten Mann der Stadt zu bekommen.«
»Ja, ist das so?«, frage ich mit katzenhafter Kühle und einem völlig
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