Vor uns die Nacht
zurückgelegtem Kopf ein und aus, dann fährt er sich durch die Haare, die gerade so herrlich durcheinander waren, und tritt rückwärts in den Raum hinein.
Kurz schüttelt er sich, dann blickt er sich um und beginnt, ein Glas und eine Tasse vom Tisch zu räumen und in die Küche zu tragen, die Vorhänge zurechtzuschieben, ein Kerzchen, das ausgegangen ist, neu zu entfachen, Fernbedienung und Handy akkurat nebeneinanderzulegen, CDs in ihre Hüllen zu verfrachten und welke Blätter aus der Yuccapalme zu zupfen.
Fasziniert, aber auch brutal entzaubert schaue ich ihm dabei zu. Zum ersten Mal erlebe ich bei einem anderen Menschen das, womit ich mein Umfeld in regelmäßigen Abständen aus dem Takt bringe: eine Übersprunghandlung. Ich war zu viel für ihn. Er räumt auf. Muss Ordnung schaffen, um mit dieser frisch geduschten Frau in seinem Hemd klarzukommen, die in seinem Wohnzimmer steht.
Nein, das kann nicht sein. Er ist Callboy. Für ihn ist es doch Alltag, Frauen auf Touren zu bringen. Wenn er in akute Verwirrung gerät, weil Kundinnen in Fahrt kommen, wird er nicht lange Erfolg haben.
»Hier.« Er schiebt mir ein paar Gästehausschuhe vor meine nackten Füße und reicht mir eine samtige braune Kuscheldecke. »Magst du was trinken? Einen Tee? Ich schmeiße deine Sachen in den Trockner, okay?«
»Ja«, sage ich nur belämmert und sein flüchtiger, aber feuriger Blick auf meine Füße – der zweite heute Abend, kann kein Zufall sein – tröstet mich nur wenig. Andererseits wollte ich doch gar nicht mehr als das, was geschehen ist. Und es ist schön gewesen. Sobald ich zu Hause bin, werde ich mich auf diese Momente konzentrieren und nicht auf Jans plötzlichen Putzwahn. Der hat in meinen Fantasien nichts verloren und zum Glück kann ich entscheiden, was ich für die Ewigkeit aufhebe und was nicht. Es ist wie bei den Ausgrabungen – man stellt nur das in Vitrinen, was von Wert ist. Das andere bleibt dort, wo es war. Niemals würde man auf die Idee kommen, all den Dreck, den man durchwühlt, ebenfalls in einem Museum zu zeigen. Dabei besteht daraus die Hauptarbeit: stundenlang Erde und Sand zu sieben.
Mit der Kuscheldecke um den Bauch und Filzpantoffeln an den Flossen schlurfe ich in den Flur. Mein Unterleib zuckt unwillig, aber da kann ich ihm jetzt auch nicht helfen. Jan hat mein Höschen nicht einmal berührt, geschweige denn das darunter. Ich habe ihn berührt, aber er mich nicht. Das gab’s noch nie im Liebesleben der Ronia L. Und trotzdem …
»Hoppla«, entfährt es mir, als ich das riesige, gerahmte Foto im Flur erkenne. Oh nein. Nicht dieses. Es ist die Aufnahme aus dem Internet. Hot, young, sexy. Jan mit nacktem Oberkörper in einer viel zu tief sitzenden Jeans. Ich muss mich abwenden, als ich sein Gesicht betrachte. Vielleicht sollte ich ihm beim Aufräumen helfen und ihn fragen, ob ich was bügeln kann. Bügeln ist ideal, um sich abzulenken.
Mit dem Staubtuch in der Hand wuselt er an mir vorüber und zurück ins Wohnzimmer. »Ich krieg sonst morgen einen Rappel, wenn hier alles rumfliegt.« Es fliegt gar nichts mehr herum. Die Bude ist erstaunlich ordentlich. Das war sie auch schon, bevor er sich in seiner Übersprunghandlung verlor.
Nachdem er den Fernseher auf Hochglanz gebracht hat, streckt er sich und gähnt ausgiebig. Glückwunsch, Ronia. Nun ist er auch noch müde und schläft fast ein. Das wird ein prickelnder Abend. Dennoch – ich mag sein Gähnen. Ich bekomme das Gefühl, ihn in den Arm nehmen zu wollen, wenn er müde ist. Angesichts des XXL-Posters von sich selbst an der Wand ist dieser Wunsch allerdings ziemlich krank.
»War ein langer Tag heute. Hatte eine schwierige Kundin. Ne echte Zicke.« Er legt den Kopf schräg, als wage er nicht, an seine eigenen Erinnerungen zu glauben. »Manchmal meinen die, sie wären Gott.«
»Na ja, damit kennst du dich ja aus«, erwidere ich kühl und zeige auf das Poster. Er soll es mir endlich sagen, von sich aus. Keine Versteckspielchen mehr. »Warum hängst du so was in deinen Flur?« Ich weiß, warum er es tut. Reklame für sich selbst. Aber ich will es aus seinem Mund hören.
»Weil ich mich gern anschaue.« Er grinst vergnügt und gähnt noch einmal. »Nee, war mein erster großer Deal. Gutes Geld. Ohne den hätte ich mir diese Wohnung nicht nehmen können. Wollte immer mal in der Nähe vom Fluss leben.«
»Magst du nicht endlich mal Licht anmachen?«, frage ich müde. Das Kerzenlicht zermürbt mich plötzlich. Er verschafft die Illusion von
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