Vor uns die Nacht
eingehen, was er gerade gesagt hat. Sonst sterbe ich. Weil ich ihm dann beweisen muss, dass ich dazu fähig bin – ihn direkt ansehen. Es wird mich umbringen.
»Wenn, dann hast du es noch nicht gemerkt. Aber denk mal drüber nach, warum du so viel im Sand spielst. Vielleicht entdeckst du was.«
Entkräftet schlüpfe ich in meine Schuhe, richte mich schwer atmend auf und werfe die weiche, warme Decke an Jan vorbei ins Wohnzimmer.
»Muss schlafen«, entschuldige ich mich mit zitternder Stimme, reiße die Tür auf und nehme fast torkelnd die drei Stufen zur Haustür. Draußen scheint mir die unverhoffte Abendsonne so direkt und grell ins Gesicht, dass ich ein paar Minuten stehen bleiben muss, um zwischen all den schwarzen Flecken die Stadt zu erkennen. Wege und Straßen, die ich kenne und die mir vertraut sind. Ich weiß, dass Jan aus dem Fenster sieht. Nicht, um mich zu beobachten und sich daran zu ergötzen.
Er will wissen, ob es mir gut geht.
Aber es geht mir gut. Noch geht es mir gut – solange ich laufe und nicht zur Ruhe komme. Ich muss laufen.
Die Dämonen werden erst vom schwarzen Firmament stürzen und mich jagen, wenn es dunkel ist.
Sonnensturm
S ag mal, was machst du da drin eigentlich die ganze Zeit?« In einem exakten Rhythmus klopft Jonas an die Badezimmertür, schon zum dritten Mal, seitdem ich mich vor einer knappen Stunde hier eingeschlossen habe.
»Ich dusche!«, gebe ich gereizt zurück. Mir läuft die Zeit davon und seine Fragen lassen mich fahrig werden.
»Du duschst nicht. Die Dusche lief vor zwanzig Minuten und dann eben kurz wieder und jetzt ist es still.«
»Hast du eine Überwachungskamera angebracht?«
Durch die Tür höre ich Jonas mindestens so gereizt aufstöhnen, wie ich mich gerade fühle. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn er mir ständig dazwischenfunkt. Gerade habe ich mich vermalt, weil ich nicht gleichzeitig reden und Nägel anpinseln kann. Mein altes Multitasking-Problem. Mit einem Wattepad versuche ich den Lacktropfen vom kleinen Zeh zu wischen. Für einen dritten Versuch habe ich keine Geduld mehr.
»Ronia, wir haben nur ein Badezimmer und ich muss mich auch langsam fertig machen, ich hab noch meine Dienstklamotten an und will ebenfalls duschen und vielleicht auch mal die Toilette benutzen.« Oh, wie vornehm, Toilette statt Klo. »Mach schon, in einer halben Stunde müssen wir los.«
»Wir?«
Nun drehe ich doch den Schlüssel und öffne die Tür einen Spalt, doch Jonas nutzt ihn gnadenlos und drängt sich zu mir ins Bad, ohne mich um Erlaubnis zu bitten, was mich so überrumpelt, dass ich keinen Protest einlege. Das ist eigentlich nicht seine Art – und es gefällt mir nicht. Ahnt er, dass ich mich auf ein potenzielles Treffen mit River vorbereite? Argwöhnisch beobachte ich ihn. Wie ein Detektiv auf Spurensuche guckt er sich um, bis seine Augen sich am Ende der Rundfahrt auf mich heften und verengen.
»Wieso denn das?« Mit dem Daumen deutet er auf meine Lauftights, die ich mir bereits übergestreift habe. Oben trage ich nur ein weißes Bustier, das ein kleines bisschen durchsichtig ist. Doch sein Blick ist schon nach unten zu meinen Füßen gesprungen, auf deren Zehen der Lack noch feucht ist und die von einem bunten Schaumstoffstück gespreizt werden. Diesen Anblick sollte in diesem Leben außer mir eigentlich niemand zu Gesicht bekommen.
»Ronia – ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber machst du dich zum Laufen fertig und malst dir dafür die Füße bunt?«
»Das ist nicht bunt, das ist perlmutt. Und vor allem geht es dich nichts an, weder was ich hier tue noch was ich vorhabe«, antworte ich patzig.
»Eigentlich nicht, das stimmt, heute aber schon. Und du kannst nicht laufen gehen. Wobei ich immer noch nicht verstehe, warum du vor dem Laufen duschst und dir die Zehennägel lackierst. Du ziehst doch Schuhe an.« Okay, er hat Lunte gerochen und sein analytisches Berufsdenken schlägt durch. Hier ist ein Fehler in der Gleichung. Wenn Jonas dieses Spielchen während seiner geliebten CSI-Serien trieb, fand ich es amüsant. Bei mir selbst ist es jedoch beklemmend.
»Musst du nicht verstehen. Wieso kann ich nicht laufen gehen?«
Wieder gleitet Jonas’ Blick über die Regale und Ablagen. Ich komme mir vor wie ein Verbrecher, der in flagranti bei seinen liederlichen Taten erwischt worden ist. Dabei habe ich nur Körperpflege betrieben, mehr nicht.
Selbst wenn er wüsste, was hier vor sich geht – vielleicht ist es übertrieben, sich vor einem
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