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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Romantik, wo keine Romantik möglich ist.
    »Nein. Ich ertrag es nicht gut. Bin heute wieder so viel geblendet worden vom Blitzlicht. Bekomme sonst Kopfweh.«
    Okay, er lässt sich also auch von ihnen fotografieren. Wahrscheinlich splitternackt. »Jan, ich kann das nicht. Sorry. Ich krieg das nicht auf die Reihe mit deinem Job, das geht nicht. Toleranz hin oder her.«
    »Toleranz?« Schlagartig hört er damit auf, wie eine Putzfrau auf Speed hin und her zu flitzen, sondern kommt zu mir in den Flur. Seine Brauen haben sich zusammengezogen. Die Intimität zwischen uns ist endgültig Vergangenheit, nun stehen die Zeichen wieder auf Krieg. Es schmerzt mich. »Ist für dich nur jemand akzeptabel, der studiert und sich ab und zu gepflegt den Finger in den Po steckt? Dieser Lukas, der studiert, oder? Soll ich dir was sagen – das ist ein Pisser. Wusstest du, dass er sich immer mal wieder ein Näschen genehmigt und dann richtig unangenehm wird? Ärger anzettelt und abhaut, diese feige Sau? Den hast du doch auch an dich rangelassen, oder? Und dass er BWL studiert und später als irgendein Arsch von Boss seine Mitarbeiter knechtet, bis sie am Burn-out zugrunde gehen, macht es besser? Ja?«
    »Nein, macht es nicht und ich wusste das gar nicht.« Bestürzt schlucke ich und versuche, seinen Wortschwall zu ordnen. Lukas hat gekokst? Ist das wahr? »Aber er verkauft seinen Körper nicht, er …«
    »Ich verkaufe meinen Körper nicht, ich lasse ihn nur fotografieren, Mädchen!« Jans Äußeres ist ruhig und entspannt, seine Haltung zeigt keinerlei Aggressivität. Dennoch spüre ich seine Energien wild stürmen. Nicht nur in ihm, sondern in der ganzen Wohnung. Doch dann beruhigen sie sich mit einem Mal und es wird still. »Oh nein, jetzt sag nicht, du bist auf den Mist hereingefallen, den die Leute sich erzählen? Du bist echt ein Kind, Ronia. Denkst du nie selbst nach?«
    »Doch, eben drum!«, gifte ich ihn an. »Es passte doch alles! Du bist – du bist also nur ein Model? Du bist Model?« Wenn er mich nicht so blöd anmachen würde, würde ich lachen vor Erleichterung und eine Runde durch den Flur tanzen. Nackt. Nun aber schäme ich mich.
    »Ja, Model, auch mal Aktmodel, aber keine SM- und Pornoszene und in letzter Zeit hab ich gute Aufträge. Und wenn du es genau wissen willst: Stimmt, ich hatte vor einiger Zeit ein Verhältnis mit einer Dreißigjährigen und sie hatte auch Kohle, aber Irina ist eine tolle Frau, die mitten im Leben steht und es ganz bestimmt nicht nötig hat, mich für irgendetwas zu bezahlen. Alles andere geht niemanden etwas an, kapiert? Mir doch scheißegal, was die ganzen verklemmten Spießer erzählen. Die können mit Schönheit halt nicht umgehen.«
    »Oh ja, das wird’s sein. Die anderen sind schuld. Du spielst doch damit! Du spielst immer! Und ich bin verdammt noch mal kein Mädchen! Du bist zwei Jahre jünger als ich!« Wie eine Furie rausche ich in die Küche, wo der Trockner röhrt, schalte ihn mitten im Lauf aus und öffne ihn, um meine noch feuchten Klamotten herauszuzerren. Ohne auf Jans Blicke zu achten, streife ich mir das Hemd über den Kopf und beginne mich anzuziehen. Es ist mir egal, dass ich nur im Slip vor ihm stehe. Eigentlich bin ich überglücklich, aber das darf ich ihm nicht zeigen. Leichter ist es, zornig zu sein. Es ist nicht mal gelogen. Meine Gefühle zerreißen sich gerade gegenseitig in ihrem wilden, ungehemmten Teufelstanz, ein flackernder Wechsel aus Licht und Schatten.
    »Was sagt denn das gezählte Alter aus, Ronia? Muss ich dich das fragen? Wirklich?« Ich weiß nicht, was er meint. »Ich bin eine alte Seele.«
    Kieksend lache ich auf. »Eine alte Seele?«
    »Ja«, erwidert er gelassen.
    »Eine alte Seele.« Ich will ironisch klingen, aber was nach außen tritt, ist pure Hilflosigkeit. »Wie meinst du das?«
    »Schau mich an. Hast es doch vorhin schon mal getan, oder?«
    Ja, habe ich, doch jetzt traue ich mich nicht mehr. Es stimmt, seine Augen waren offen und im direkten Blick anders als in ihrem üblichen Schlafzimmergebaren. Die Tiefe darin hat mich beinahe umgehauen.
    »Ich lasse das sonst fast nie zu. Im echten Gegenüber. Die Kamera filtert es und den Abglanz lieben sie«, sagt Jan leise und wie zu sich selbst. Er redet nicht oft darüber. Vielleicht in diesem Augenblick sogar zum ersten Mal. Ich möchte mich gerne auf den Boden setzen und heulen. »Aber die meisten Menschen verkraften es nicht.«
    »Und ich, bin ich keine alte Seele?« Ich kann nicht auf das

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