Vor uns die Nacht
möglichen Zufallstreffen herauszuputzen, als sei man zu Heidi Klum in die Topmodel-Körperkontrolle geladen worden. Denn wie immer weiß ich nicht, was heute passiert. Es kann alles geschehen. Und nichts. Wobei ich meine Karte auf »alles« setze. Also muss ich für alles gewappnet sein.
Jonas schnüffelt skeptisch. Ja, es riecht hier drinnen – intensiv und durcheinander. Nach meinem Mandelmilch-Duschgel, meiner Vanille-Bodylotion, einem Peeling mit Aprikosenkernstückchen, dem Rasierschaum und meiner Lavendel-Fußcreme, die hoffentlich beim Laufen nicht verfliegt. »Ronia, ich sag es noch mal: Das wird nichts mehr mit dem Joggen«, wiederholt Jonas grübelnd, was ich immer noch nicht zuordnen kann. Ich habe heute Abend frei, auch mit Jonas bin ich nicht verabredet. Erst recht nicht mit jemand anderem. Freitagsdates sind tabu, seitdem ich laufen gehe. Dass ich vergangenen Freitag aus rein taktischen Gründen zu einem Uni-Vortrag von Kai Schuster ging, um ihn ein wenig hinhalten zu können, war eine Entscheidung gewesen, die mich in ihrer Zerstörungskraft fast krank machte – ich hatte während seiner Rede rasende Kopfschmerzen bekommen. Noch einmal schaffe ich das nicht.
»Aber warum denn nicht?«
»Heute ist der 20. Mai, Ronia. 20. Mai, jetzt sag nicht, dass du nicht dran gedacht hast?«
»Oh, Scheiße.« Ich lasse mich auf den Badezimmerhocker fallen und befreie meine Zehen genervt von ihren Schaumstofffolterwerkzeugen. Der 20. Mai – Johannas Geburtstag. Dazu muss ich keine Einladung kriegen. Seitdem sie fünfzehn geworden ist und ihre Mutter endgültig beschlossen hat, dass ihre Tochter tun und lassen kann, was sie will, ist es Tradition, dass wir ab dem frühen Abend zu ihr kommen und gemeinsam feiern. Damals waren es Teenagerpartys mit dem ein oder anderen Knutschspiel und viel Klammerbluesmusik, heute kochen wir zusammen, spielen Therapy oder Trivial Pursuit und schauen DVDs. So ändern sich die Zeiten.
Doch an diesem Freitag kann ich nichts von all dem tun. Es geht nicht. Ich darf keine weitere Woche verstreichen lassen, sonst kann Jonas mich gleich einliefern lassen. Meine Nerven machen das nicht mehr mit. Ich brauche Sicherheit, wenigstens ein bisschen. Die Ungewissheit, ob Jan mir meine Flucht übel genommen hat oder nicht, ob er noch sauer ist oder es jemals war, hat mich so viele schlaflose Stunden gekostet, dass ich allein meiner seelischen Gesundheit und meinem Studium zuliebe Klarheit schaffen muss. Und das geht nicht per Mail und auch nicht mit einem aufdringlichen Besuch bei ihm. Ich muss es wie die bisherigen Male dem Schicksal überlassen. Oder besser: seinem Willen, mich zufällig zu treffen. Er weiß, dass ich freitags am Fluss laufe. Wenn er mich sehen will, kann er dazukommen. Wenn nicht, dann … Ich weiß nicht, was dann ist. Ich sollte gar nicht erst darüber nachdenken. Ich schaue auf eine schwarze, kalte Wand, sobald ich diesen Gedanken erlaube. Sie lässt keinen einzigen Sonnenstrahl mehr zu. Es wird besser werden, wenn ich die Gewissheit habe, dass er mich noch will. Dann kann ich mich wieder entspannen und auf andere Dinge fokussieren. Diese zwei Wochen im Nirgendwo waren zehrend genug.
»Geh doch morgen laufen. Warum heute Abend?« Eine aus Jonas’ Sicht durchaus berechtigte Frage, doch meine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
»Weil es morgen Regen geben soll.« Das stimmt sogar, sie haben es vorhin verkündet. »Ich komme nach, okay? Kann ich jetzt bitte weitermachen, und zwar alleine?«
Doch Jonas ist immer noch mit meiner Kosmetikarmada beschäftigt. Er benimmt sich wie ein Bluthund, der Fährte aufgenommen hat. Und er wird nicht eher aufhören, sie zu verfolgen, bis er herausgefunden hat, was dahintersteckt. »Hey, hast du gehört, was ich gesagt habe? Ich komme nach.«
»Das wird zu spät, Ronia, wir wollen Raclette machen und Johanna beim Schnippeln helfen. Gibt dir einen Ruck, bitte. Es ist doch gerade erst aus bei ihr.«
»Was?« Jetzt bin ich aufrichtig perplex. »Es ist aus? Mit diesem Max?« Mein erleichtertes Lächeln kommt zu schnell, ich kann es nicht aufhalten. Jonas hat es gesehen. Eine kleine Weile schauen wir uns stumm an, er traurig und enttäuscht, ich ertappt. Außerdem ärgere ich mich darüber, dass sie es ihm erzählt hat und mir nicht.
»Also hast du es ihr wirklich nicht gegönnt. Ich versteh dich nicht mehr, Ronia. Von mir aus tanz weiter auf meinem Kopf rum, wenn es dich glücklich macht. Ich kann das ab. Spiel,
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