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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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solange du spielen musst. Aber tu es nicht ihr an, okay? Sie ist deine beste Freundin und ein sehr liebes Mädchen. Das hat sie nicht verdient.«
    »Ich geh nur laufen und danach …« Doch Jonas hat die Tür schon hinter sich zugezogen und mich in meinem Vanille-Lavendel-Mandel-Duftkarussell alleine gelassen. Seufzend erhebe ich mich vom Badezimmerhocker, werfe die Wachsstreifen und Kosmetikpads in den Mülleimer und bin plötzlich völlig kraftlos. Und vor allem mutlos.
    Das sind keine guten Voraussetzungen für erfüllte Doktorspielchen im Auwald. Ich fühle mich auch nicht gut dabei. Aber ich würde mich noch schlechter fühlen, wenn ich mir jetzt brav was Nettes anziehen und mit Jonas zu Josy fahren würde. Ich wäre mit meinen Gedanken ständig woanders und hätte dieses grauenhaft aufreibende Gefühl, etwas zu verpassen. Niemals könnte ich mich auf ein Gespräch konzentrieren oder aus ganzem Herzen mit den anderen lachen. Sie hätten doch gar nichts von mir. Belügen will ich sie auch nicht.
    Besser ist es, ich überzeuge mich davon, was Kismet heute mit mir vorhat, und komme anschließend nach. Ausgepowert, erfrischt und voller neuer Bilder in Kopf und Bauch. In solch einem Zustand ist Raclette mit Freunden etwas Wunderbares und ich werde es genießen können.
    Trotzdem: Jonas hat mich entlarvt. Das kann ich nicht verdrängen. Ich putze mich heraus und streife dann Joggingklamotten drüber, um so zu tun, als treibe ich Sport, in der Hoffnung, etwas anderes zu treiben. Würde ich überhaupt laufen gehen, wenn es Jan nicht gäbe? An einem solch schönen, warmen Abend? Nie und nimmer. Das weiß vermutlich auch Jan. Es ist lächerlich, mich ihm nass geschwitzt und in vollsynthetischer, atmungsaktiver Ausrüstung zu nähern. Am Anfang war das noch etwas anderes. Da waren wir Fremde. Das sind wir jetzt zwar auch noch, doch ich war in seiner Wohnung, habe bei ihm unter der Dusche gestanden, seine Pantoffeln an meinen Füßen gehabt – und ich weiß nun, dass er Model ist und kein Callboy. Jetzt darf es passieren. Ja, theoretisch dürfen wir … dürfen wir miteinander schlafen? Darf er mit mir schlafen?
    Sollte es heute passieren, dann will ich nicht, dass er einen verschwitzten und möglicherweise nicht mehr ganz so sinnlich duftenden Körper aus Laufhosen und Nylonhemdchen schälen muss. Meine Haut verlangt nach anderem, nach einer engen, gekrempelten Sommerjeans und meinem seidigen graublauen Trägershirt, das sich so schön weich auf der Haut anfühlt.
    Ich möchte, dass Jan mich darin sieht, selbst wenn er dann genau weiß, dass ich seinetwegen auf die andere Seite gelaufen bin und nicht zu Zwecken der Körperertüchtigung. Doch nach meiner überstürzten Flucht darf er das wissen. Er soll es sogar wissen.
    Nur: Wenn ich jetzt Jeans und Shirt anziehe und aus der Tür gehe, wird Jonas erst recht Lunte riechen. Oder mich gar nicht erst ziehen lassen, sondern mit zu Johanna nehmen, und ich werde kein einziges Argument haben, mich dagegen zu wehren. Also bleibt mir nur eins: die normalen Klamotten in einen kleinen Rucksack zu packen und mich auf halber Strecke umzuziehen – was wiederum bedeutet, dass ich die übliche Route abändern muss. Sonst wird Jan stutzig, falls er aus seinem Fenster schaut, um zu sehen, ob ich laufen gehe, und mich später – Überraschung! – im Alltagsdress und ohne ein Schweißtröpfchen im Gesicht am Fluss wiederfindet. Doch wenn ich eine andere Strecke wähle, weiß er nicht, ob ich an die Promenade und über die Brücke gehe. Vielleicht bleibt er dann in der Wohnung und schaut Fußball.
    »Puh. Langsam wird es stressig«, spreche ich aus, was sich immer deutlicher in mir manifestiert. Eine Affäre ohne Verbindlichkeiten und Versprechungen ist anstrengend und überdies eine hoch komplizierte Angelegenheit. Wie machen das erst Frauen, die verheiratet sind und um jeden Preis vertuschen müssen, dass es ihren Lover gibt? Die trotzdem noch mit ihrem Mann den wöchentlichen Ehesex absolvieren und in voller geistiger Präsenz ihre Kinder versorgen müssen? Wie schneiden die sich die Zeit für ihre Treffen heraus und wie oft müssen sie dafür lügen? Ich würde kläglich daran scheitern. Ich bin ja jetzt schon erschöpft und überfordert und wir haben nicht einmal miteinander geschlafen.
    Allerdings muss auch ich Geheimniskrämerei betreiben. Das mit Jan und mir darf niemand erfahren – obwohl ich nun weiß, dass er Model ist und es genügend Beweise dafür gibt, die ich auch anderen

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