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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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war es okay für dich? Ich frage nur, weil …« Nach einem weiteren kurzen Gähnen öffnet er seine Augen und streift mich mit einem fragenden Blick. Jetzt wirken sie wieder braun und beinahe verschwommen.
    »Schön, hab ich doch geschrieben, warum?«
    »Weil … war ich zu übergriffig?«
    »Ich bin danach manchmal empfindlich, das hat nichts mit dir zu tun, ist meine Haut. Wieso bist du so unsicher, ich dachte, es ist alles in Ordnung?«
    Oh, klasse. Jetzt habe ich ein Problem aus einem Problem gemacht, das keines war. Wieso habe ich nicht meine Klappe gehalten und diesem Wunder stillschweigend vertraut? Nun muss ich aussprechen, was ich bislang niemandem sagen konnte, um mich zu erklären.
    »Lukas, mein Ex, ich hab ihn belauscht, als er sich über meine Bettqualitäten ausgelassen hat. An Silvester war das. Und er hat mich nicht gerade in den Himmel gelobt.«
    »Bettqualitäten.« Jan lacht spöttisch auf, doch seine Miene wird sofort wieder ernst. »Was bitte soll das denn sein? Kann man das bei amazon bestellen?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Manchmal ist es gut und manchmal nicht so gut, das hat nichts zu bedeuten. Man kann nicht immer auf der Höhe sein. Wie waren denn seine Bettqualitäten?« Nein, das war nicht das, was ich hören wollte. Für einen Neunzehnjährigen klingen seine Antworten nach weitreichender Erfahrung mit guten und schlechten Tagen im Bett einer Frau. Außerdem fehlt das Lob in meine Richtung. Irgendein Satz, der mir sagt, dass ich alle anderen in den Schatten gestellt habe, dass es mit keiner so war wie mit mir.
    »Bescheiden«, antworte ich grimmig und beiße mir auf die Lippe, um nicht zu weinen. Merkt er nicht, wie elend es mir geht?
    »Zweifle nicht so viel. Man muss nicht alles zerreden, finde ich. Wird dadurch weder besser noch schlechter. Man kann es fünfmal durchdiskutieren oder man tut es kein einziges Mal: Die Sache bleibt die gleiche.« Auch das waren die falschen Sätze und sie lassen meine Kehle noch enger werden. Ich weiß, dass er recht hat, genauso ist es, Punkt, aus, aber weder will ich das zugeben noch verinnerlichen. Ich brauche ein liebes Wort. Nur ein einziges.
    »Ich wollte noch bisschen fernsehen, bevor ich schlafen gehe. Wird heute eher früh sein. Magst du auch?« Er deutet mit dem Weinglas rüber zum Wohnzimmer.
    Das ist die falsche Idee, ich weiß es, aber dann sitze ich doch neben ihm, mein Kopf gegen seine Schulter gelehnt, weil ich nicht anders kann, die Kuscheldecke um meinen schmerzenden Bauch gewickelt, und lasse mich in den ungesunden Bann eines Films ziehen, der mir von der ersten Minute an wehtut. Crying Game. Er passt. Auch das zwischen Jan und mir ist ein Crying Game geworden. Dils Leiden ist mein Leiden, alles in dem Film scheint mich zu meinen, Dils Schmerz, seine Liebe, seine abgrundtiefe Verzweiflung. Schon nach der ersten halben Stunde muss ich mich immer wieder abwenden, weil ich die Intensität kaum ertragen kann, bis ein unterdrücktes Schniefen seine Aufmerksamkeit weckt.
    »He … das ist nur ein Film, mehr nicht. Soll ich umschalten?«
    Stumm schüttele ich den Kopf und binde meine Locken zurück, um ein wenig klarer im Kopf zu werden. Doch eine einzelne vorwitzige Träne schert das nicht. In einem Rutsch perlt sie über meine Wange und tropft auf das Sofa. Für eine Sekunde bleibt Jans Blick daran hängen.
    »Ich wollte eh grad ausmachen, ich muss pennen, ehrlich. Ich schlaf ja schon dauernd ein. Ronia?«
    Doch ich bin ruckartig aufgestanden und stolpere fast über die Kuscheldecke, die von meinen Beinen gleitet und sich weich um meine Knöchel schlingt. Ich haste zur Tür, stammele ein unverständliches »Danke fürs Essen« und muss eine Weile den steckenden Schlüsselbund nach links und rechts drehen, bis die Tür sich endlich öffnet.
    Als ich wieder draußen an der frischen, kühlen Luft bin, die nach neuem Regen riecht, lässt der Druck auf meinen Kehlkopf etwas nach. Für einen Moment bleibe ich stehen und versuche, nichts zu denken. Ein Penner gegenüber der Straße hebt seinen blutunterlaufenen Blick und starrt mich an, als wäre ich eine Erscheinung aus der Unterwelt – und so sehe ich vermutlich auch aus. Ich weiß nicht, was mir mehr zusetzt – der Film und seine berührende Traurigkeit oder meine eigene. Ich wollte Dil umarmen, ja, ich wollte ihn fest umfangen und trösten, als er geschlagen wurde, weil er ist, was er ist, und fühlt, was er fühlt, doch was tut Jan? Sagt, dass er ins Bett muss, weil er müde ist. Er

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