Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
Picasso. Erst sehr viel später lernte ich Picasso zu schätzen, aber bis heute sind es die Impressionisten, die mich immer wieder umhauen. Am Abend verkündete ich meinen Eltern, dass ich Künstler werden wollte. Meine Mutter sagte: »Das ist ja schön.« Aber mein Vater erklärte mir, dass Männer nur ein Thema malen, und zwar Häuser, und wenn ich ein Künstler werden wollte,sollte ich mir erst mal ein paar Feenflügel pinseln. Seine Engstirnigkeit konnte ich nie gut ertragen.
»Ich wusste nicht, wie ich es beenden sollte«, sagte er fast entschuldigend.
Ich las den Entwurf zweimal und schrieb mit meinem blauen Filzstift Bemerkungen an den Rand, unterstrich hier und da einen Satz und umkringelte bestimmte Wörter. Devin beobachtete mich dabei, und aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass er besorgt wirkte. Er schrieb ziemlich abgehackt, Stil und Struktur waren repetitiv, er machte Kommafehler und vertat sich manchmal bei Metaphern. Der Text ähnelte den Entwürfen meiner Erstsemester. Und doch erkannte ich unter der Oberfläche etwas Komplexeres. Ich sehe das bei allen Aufsätzen meiner Studenten – die Möglichkeiten, die in ihren Fehlern liegen.
»Was gefällt Ihnen an dem Entwurf?«, unterbrach ich schließlich die Stille. Die Frage verblüffte ihn, und er vertiefte sich in die Lektüre meiner Bemerkungen, als seien sie ein Geheimcode, als sei ihm die Vorstellung, dass er den Aufsatz mögen könnte, vollkommen fremd.
»Ehrlich gesagt«, begann er, »ist das, was mir daran gefällt, das, worüber ich nicht geschrieben habe. Nicht nur, dass ich mich in die Bilder verliebt habe, ich habe sie auch ganz allein gefunden. Ohne Führung, ohne Lehrer. Es war die
Einsamkeit
des Moments – ich war in meiner eigenen Welt, zehn Minuten oder zwei Stunden, ich weiß es wirklich nicht. Und vielleicht spielte auch die Aufregung mit hinein, dass ich, ich sag mal, der Herde entkommen war.«
»Das sehe ich genauso«, antwortete ich. »In diesem Aufsatz steckt so viel, was hier noch nicht verbalisiert wurde. Sie können noch sehr viel damit machen.«
Wir sprachen über rhetorische Mittel und darüber, was er noch beschreiben konnte und wie er den Moment derOffenbarung – das Entdecken der Schönheit in der Kunst und in der Einsamkeit –, aber auch die Ablehnung seines Vaters zeigen konnte, ohne sie seinen Lesern zu erklären. Als die Stunde zu Ende ging, sah Devin mich bewundernd an.
»Wow. Sie machen das super.«
»Danke.«
Vielleicht hörte es sich so an, als hätte mich seine Ehrlichkeit nicht überzeugt, denn er fügte hinzu: »Nein, ich meine das ganz im Ernst. Sie wissen wirklich, was in einem Text los ist, und können ihn zugleich konstruktiv kritisieren. Wahrscheinlich hatte ich erwartet, dass Sie den Aufsatz blöd finden. Wenn ich früher mal eine Lehrerin wie Sie gehabt hätte, könnte ich jetzt vielleicht viel besser schreiben. Verdammt, vielleicht wäre ich gar nicht so schlecht.«
»Sie sind auch jetzt nicht schlecht, ich finde es sogar ziemlich gut. Sie sind unerfahren, sonst nichts.«
»Genau wie Sie.«
»Hä?«
»In Ihnen steckt eine ausgehungerte, sexy Liebhaberin und wir werden sie rauslocken, genau wie Sie mir mit dem Schreiben helfen. Sie werden schon sehen.«
Das war so kitschig, dass ich mich beim Lachen verschluckte. Ich trank einen Schluck Wasser. Devin sah mich unbeeindruckt an.
»Okay«, sagte er. »Jetzt sind Sie dran. Ziehen Sie sich aus.«
Ich sah ihn ungläubig an und hüstelte.
»Mann, Sie könnten etwas taktvoller sein. Was ist denn aus dem Vorspiel geworden?«
»Vorspiel ist erst nächste Woche dran. Ich will gar nicht taktvoll sein. Taktvoll wäre:
Bitte ziehen Sie Ihre Sachen aus, eins nach dem anderen, und machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind wunderschön«
, sagte er herablassend. »Das haben wir letzte Woche gemacht. Sie sind darüber hinaus. Lassen Sie es raus.«
»Wie viel soll ich rauslassen?«
»So viel Sie können.«
»Könnten Sie wenigstens die Jalousien etwas herunterlassen«, bat ich ihn, »damit sich nicht die ganze Stadt an einer freien Stripshow erfreut?«
Er ließ die Jalousien herab und schloss das Sonnenlicht aus, das Wände und Boden überflutete. Jetzt sah das Sofa nicht mehr sandfarben aus, sondern hatte ein warmes Grau angenommen. Er mochte neutrale Farben.
Dieses Mal trug ich einen rosa BH und den passenden Slip dazu, auch wieder von
Victoria’s Secret
. Der Schweiß rann mir von der Stirn über das gerötete Gesicht. Er ging einen Schritt
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