Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
Zeit las ich seine überarbeitete Abhandlung durch und schrieb wieder Bemerkungen an den Rand. Schließlich hörte er frustriert auf. Sein Blick signalisierte Kapitulation.
»Was«, sagte ich, eher eine Aussage als eine Frage.
Er sah mich verdutzt an. »Warum sollte ich meiner Mutter einen Brief darüber schreiben, was ich am Wochenende gemacht habe?«
»Weil sie woanders wohnt«, antwortete ich. »Und du ihr eine ganze Weile nicht mehr geschrieben und auch nicht mit ihrgesprochen hast. Sie soll eine Vorstellung von deinem Leben bekommen.«
»Erstens wohnt meine Mutter in Massapequa«, sagte Devin. »Zweitens will sie nichts von meinem Leben wissen – jedenfalls nicht von diesem Teil meines Lebens. Und drittens, mit welcher Absicht sollte ich …«
»Aha!«, unterbrach ich ihn. »Du hast das magische Wort benutzt:
Absicht
. Leser und Absicht sind untrennbar miteinander verbunden. Du schreibst eine Bewerbung mit der Absicht, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Wenn du eine Einkaufsliste zusammenstellst, besteht deine Absicht darin, dass du dich daran erinnern willst, was du einkaufen wolltest, oder sie demjenigen gibst, der den Einkauf machen soll. Wenn du eine Abhandlung verfasst, tust du es mit der Absicht, eine Erinnerung oder ein Ereignis für den Leser mit einer neuen Bedeutung aufzuladen, auch wenn du selbst der Leser bist. Diese unterschiedlichen Absichten sind in unterschiedliche Kontexte eingebettet, in das alltägliche persönliche Leben, ins Berufsleben und so weiter. Wenn dir deine Absicht unklar ist, bleibt sie auch deinen Lesern uneindeutig. Wenn dir unklar ist, wer deine Leser sind, dann wird auch dein Text uneindeutig.«
»Leuchtet mir ein.«
»Was ist beispielsweise die Absicht deines Tagebuchs?«
»Ich hab’s geschrieben, weil du es mir aufgegeben hast.«
»Und die Leser?«
Er dachte nach.
»Weißt du, mir ist gerade aufgefallen, dass ich ja wusste, dass du es lesen wirst, und so hab ich meistens an dich gedacht.«
»Und wie hat das deinen Text beeinflusst?«
»Nicht so sehr, worüber ich geschrieben habe«, sagte Devin. »Sondern wie ich es geschrieben habe. Ich habe viel über Beschreibung und Bilder nachgedacht. Manchmal kam es mir sogar so vor, als würde ich mit dir sprechen.«
»Und wenn du für eine Zeitschrift schreiben würdest«, fragte ich weiter. »Sagen wir mal eine Homestory:
Ein Tag im Leben eines Callboy
, wie würdest du das schreiben?«
»Hängt von der Zeitschrift ab:
Reader’s Digest
oder
Cosmo
.«
»Das ist genau der Punkt«, sagte ich begeistert.
Er grinste stolz. »Mir hat gefallen, was Peter Elbow gesagt hat, dass man seine Leser manchmal ignorieren muss, um zu einem besseren Text zu kommen«, sagte er und blätterte in dem fotokopierten Artikel, bis er die unterstrichene Stelle gefunden hatte. Er las sie laut vor:
»Wir Schriftsteller lernen also, wann wir an unsere Leser denken und wann wir sie ignorieren sollten.
«
»Ja, das stimmt«, pflichtete ich ihm bei.
»Aber mit dem Abschnitt«, sagte Devin, »in dem er die Behauptung verteidigt, dass die Leserschaft manchmal nur aus einem Leser, aus einem selbst besteht, hab ich mich schwergetan.«
»Na ja, ich glaube«, erklärte ich ihm, »dass er hier implizit auf die These eingeht, dass es so etwas wie einen privaten Diskurs nicht gibt beziehungsweise so etwas wie keinen Leser. Meiner Meinung nach ist an beiden Behauptungen etwas dran. In dem Film
Imagine
versucht John Lennon zum Beispiel, einen besessenen Fan wieder zur Vernunft zu bringen. Im Wesentlichen erzählt er dem Jugendlichen, dass er die Songs für sich selbst und für niemand sonst geschrieben hat.«
»Wow. Daran hab ich nie gedacht.«
»Dem Jugendlichen ist der Gedanke auch schwergefallen«, erzählte ich weiter. »Und als er John Lennon gefragt hat, was er mit
you‘re gonna carry that weight
gemeint hat, hat Lennon nur trocken geantwortet:, Das war Pauls Melodie, da musst du ihn fragen.‘«
Devin grinste, und ich fuhr fort: »Die Autoren der
Simpsons
oder der
Bugs-Bunny
-Cartoons haben auch behauptet, für sich selbst zu schreiben. Deswegen ist es auch so komischgeworden. Und an diesen Beispielen kann man auch erkennen, wo die Autoren aufgehört haben, für sich zu schreiben, weil sie die Erwartungen eines Publikums erfüllen wollten, vor allem wenn irgendein Arschloch im Fernsehsender es mal wieder besser wusste. Ergebnis ist: Die Folge bringt’s nicht.«
»Wie‘s McCartney gesagt hat«, meinte er.
»Aber wenn Lennon
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