Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)

Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)

Titel: Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa Lorello
Vom Netzwerk:
hatte.
    »Wie sind Sie letzte Woche zurechtgekommen?«, fragte ich ihn. Er hob die Augenbrauen und gab mir drei Seiten, mit doppeltem Zeilenabstand getippt, wie ich es verlangt hatte. Auf einer davon hatte er seine zwanzig Lieblingswörter notiert.
Kuss
pedantisch
Wasserfarben
vögeln
Tarantel
lüstern
Schatten
Keks
Streicheln
Abdeckplane
Haustier
Leinwand
Kadmium
Bunny
Zärtlichkeit
Didaktik
See
Terpentin
ostentativ
Cochlea
    Ich las die Liste aufmerksam durch und lächelte bei jedem zweiten Wort, nur bei
Tarantel
nicht.
    »Warum haben Sie das Wort ausgesucht?«, fragte ich.
    »Einfach weil es sich cool anhört.«
    »Und die anderen?«
    »Entweder weil ich das mag, wofür sie stehen«, antworteteer, »oder weil sie sich gut anhören, wenn man sie ausspricht. Die Wörter mit
n
am Ende können sich zum Beispiel sehr sexy anhören, wenn man sie so aussprechen will.« In einem tiefen, weichen Ton gurrte er: »
Lüstern
.« Ich lachte und machte ihn nach.
    »
Streichelnnnnn
«, übertrieb ich. Er sah mich kokett an.
    »Ooooooo«, stöhnte er und zwinkerte mir zu.
    Dann sprachen wir über den Hampl-Essay, und über die feine Trennung zwischen Erinnerung und Vorstellungsvermögen. Wo ist der Unterschied zwischen einer Lüge und Fiktion, fragte ich. Die Stimme, antwortete Devin. Eine interessante, wenn nicht sogar beeindruckende Antwort, fand ich. Schließlich las ich den Entwurf seiner Abhandlung:
    In der fünften Klasse machten wir einen Ausflug zum Museum of Modern Art. Ich war elf Jahre alt. Ich wusste gar nichts über Kunst. Meine einzigen Erfahrungen bestanden in den Dingen, die wir für Kunst in der Schule machen sollten, meistens irgendwas mit Pappmaschee oder mit Posterfarben oder mit Seidenpapier. Ich erinnere mich, dass mir Malen mit Fingerfarben als Kind viel Spaß gemacht hat. Meine Mutter hatte mir Farben gekauft, und ich konnte mich stundenlang damit beschäftigen, meine dreckigen kleinen Hände in die Näpfe zu tauchen und irgendwelche Muster auf Zeitungspapier zu hinterlassen.
    Mit der Klasse wollten wir uns eine Picasso-Ausstellung ansehen. Wir hatten uns schon eine Woche mit Picasso beschäftigt. Bei mir war nur hängen geblieben, dass er ein verrückter Spanier war, angeblich ein Genie. Das Museum war gigantisch groß. Ein Schloss aus Marmor. Eine gigantische Wand nach der nächsten voller Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, alter Wandteppiche.
    Ein schon etwas betagter Führer erzählte uns etwas von Picasso und seinen Bildern, wie er sie gemalt hatte und so weiter, aber ich hörte nicht zu, denn Picasso interessierte mich nicht. Wir waren durch einen Raum gegangen, der mir aufgefallen war, den wollte ich mir ansehen.Also stahl ich mich aus der Gruppe und von meinem Mitschüler davon (jeder von uns bekam einen Mitschüler zugewiesen, mit dem man auf Ausflügen zusammenbleiben musste, damit wir nicht verloren gingen) und ging in diesen Raum zurück. Er war nicht so groß wie die anderen Räume, aber genauso hell und ruhig. Es muss ein merkwürdiger Anblick gewesen sein: ein elfjähriger Junge in Jeans, einem Rolling-Stones-Glitzer-T-Shirt und mit Adidas-Turnschuhen, vollkommen fasziniert von den Bildern.
    Das erste Bild nahm beinahe die ganze Wand ein. Es sah fast aus wie mit Fingerfarben gemalt, vielleicht war es mir deswegen aufgefallen. Von Weitem sah man ganz viele Blau-, Grün-, Weiß- und Gelbtöne, aber als ich näher heranging, sah ich fast jede Farbe, die ich mir vorstellen konnte in diesen winzigen, schnellen Pinselstrichen. Es war, als könnte ich plötzlich nur noch verschwommen sehen und keine Formen und Bilder mehr erkennen. Ich ging im Raum umher und sah mir die anderen Bilder an. Alle faszinierten mich, weil sie so mit Farbe, Licht und Formen umgingen. Die Tänzerin war mein Lieblingsbild. Es sah fast so aus, als wollte sie aus dem Bild herausspringen und sich nur für mich drehen. Sie war wunderschön.
    Ich erinnere mich nicht mehr, wie lange ich dort war, es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich kann mich auch nicht erinnern, ob andere Leute dort waren. Es war, als sei ich das einzige Kind auf der Welt. Aber dann rief mich jemand, eine Mutter einer meiner Mitschüler, die uns auf dem Ausflug begleitete. Sie schrie mich nicht an, schien aber zugleich erleichtert, dass sie mich gefunden hatte, und ärgerlich, dass ich weggelaufen war. Meine Lehrerin hatte jedoch keine Skrupel, mich anzuschreien. Aber das war mir egal. An dem Tag habe ich die Schönheit der Kunst entdeckt, wenn auch nicht durch

Weitere Kostenlose Bücher