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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Vergnügen hier gönnen kann.«
    Er arbeitete beim Reden weiter, befestigte einen zweiten, nach vorne schmal zulaufenden Scheinwerfer mit Klampen an einer Querstrebe.
    »Dabei haben wir um diese Zeit im Jahr immer am meisten zu tun. Allein letzte Woche hat meine Frau sechs Radios und drei Grammofone verkauft, dazu noch einen Toaster für vier Scheiben gleichzeitig und einen elektrischen Eierwärmer. Stell dir das mal vor!«
    »Von hier oben haben Sie bestimmt einen tollen Ausblick«, fiel mir auf.
    »Allerdings.« Er zog die letzte Schraube fest. »Komisch – so was Ähnliches hat der Deutsche vom Culverhouse auch zu mir gesagt, als er rausgegangen ist. ›Schöne Aussicht, so am grünen Rand der Welt‹, hat er mir zugerufen. Sein Gequatsche ist mir zwar manchmal zu hoch, aber er ist trotzdem ein guter Kerl.«
    »Stimmt. Er heißt übrigens Dieter. Und er hat Thomas Hardy gemeint.«
    Gil kratzte sich den Kopf.
    »Hardy? Kenn ich nicht. Der ist nicht hier aus der Gegend, oder?«
    »Er ist ein Schriftsteller.«
    Wie alle Schwestern von Bücherwürmern kannte ich die Titel einer Unmenge von Büchern, auch wenn ich sie nicht gelesen hatte.
    »Ach so!«, sagte er, als wäre die Sache damit erklärt. »Du kletterst jetzt besser wieder runter. Wenn dich der Boss hier oben sieht, liest er uns beiden die Levanten.«
    »Leviten«, sagte ich. »Sie meinen Latshaw?«
    »Ja, ganz recht«, antwortete er leise. »Leviten.« Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf einen Karton mit Farbfiltern.
    Ich war schon fast wieder unten, als mein Blick auf ein Gesicht fiel, das mir auf unangenehme Weise zu nahe war. Ich sprang auf den Boden, drehte mich um und stand praktisch auf Latshaws Zehen.
    »Wer hat dir erlaubt, da hochzuklettern?«, fragte er mit gesträubtem Schnurrbart.
    »Niemand. Ich habe mich nur kurz mit Mr Crawford unterhalten.«
    »Mr Crawford wird hier sehr gut bezahlt, weil er zu den Feiertagen kurzfristig eingesprungen ist. Er hat keine Zeit für müßiges Geplauder – hab ich recht, Mr Crawford?«
    Letzteres rief er so laut, dass ihn alle hören konnten. Ich trat einen Schritt zurück und schaute zu Gil hoch, der geschäftig an seinem Scheinwerfer werkelte, aber alles mitbekommen haben musste.
    »Entschuldigung«, sagte ich und merkte, dass mit einem Mal Totenstille in der Halle herrschte.
    »Hör mir mal gut zu, kleines Fräulein«, sagte Latshaw. »Ab sofort bleibst du in deinem Zimmer. Wir können hier keine Nervensägen gebrauchen.«
    Vor meinem geistigen Auge wand sich der freche Kerl mit aufgedunsenem Gesicht auf dem Boden. Seine Augen traten aus den Höhlen, er hielt sich den Bauch und bettelte um ein Gegenmittel für seine Zyanid-Vergiftung.
    »Hilf mir! Bitte hilf mir!«, kreischte er. »Ich mache auch alles, was du willst – alles!«
    »Na gut«, sagte ich gnädig und reichte ihm ein Reagenzglas, in dem ich exakte Anteile von Eisensulfat, Kaliumhydroxid und gepulvertem Magnesiumoxid abgemessen hatte. »Aber Sie müssen wirklich lernen, wie man sich gegenüber Respektspersonen benimmt.«
    Vielleicht konnte Latshaw Gedanken lesen, vielleicht auch nicht, jedenfalls drehte er sich wortlos um, ging davon und meckerte einen Tischler an, der einen Nagel nicht richtig einschlug.
    Im selben Augenblick ertönte aus dem Obergeschoss des Hauses ein Schrei, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    »Nein! Nei-i-i-i-i-i-n! Lasst mich!«
    Ich erkannte die Stimme sofort.
    Alle Blicke waren nach oben gerichtet, als ich an den Arbeitern vorbei und die Treppe hinaufstürmte. Auf dem Treppenabsatz wollte mich eine Schauspielerin aufhalten, aber ich wehrte sie ab und rannte weiter bis ganz nach oben und die Flure entlang. Das Trommeln meiner Schuhsohlen war der einzige Laut in der unheilvollen Stille, die sich über das gesamte Haus gesenkt hatte.
    Fremde sprangen zurück, um mich durchzulassen. Sie schlugen die Hände vor den Mund, und in ihren Blicken lag  … ja, was eigentlich? Angst?
    »Bleibt weg! Rührt mich nicht an. Bitte! Lasst nicht zu, dass sie mich anfassen!«
    Die Schreie kamen aus Harriets Boudoir. Ich riss die Tür auf.
    Dogger lag zusammengekrümmt in der Ecke. Mit einer Hand umklammerte er zitternd das Handgelenk der anderen Hand, und beide Hände befanden sich dicht vor seinem Gesicht.
    »Bitte!«, wimmerte er.
    »Lasst ihn in Ruhe! «, brüllte ich die Geister an. »Haut ab und lasst ihn in Ruhe! «
    Dann knallte ich die Tür zu.
    Ich wartete, bis ich es nicht länger aushielt – ungefähr zehn

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