Vorhang auf für eine Leiche
Hoffentlich weckte mein kleiner Scherz keine schmerzlichen Erinnerungen.
»Mutter Gans hat sich erledigt«, sagte sie. »Ich bin jetzt nur noch Nialla Gilfoyle. Gelegenheitsschauspielerin – Komödie, Tragödie, Pantomime. Wenden Sie sich an die Agentur Withers, London, Telegraf WITHAG.«
»Aber die Puppenbühne ...«
»Hab ich verkauft, mit allem Drum und Dran, an einen sehr netten Burschen aus Bournemouth. Der hat mir genug gezahlt, dass ich mir eine Wohnung mieten konnte. Das Baby braucht ein Dach über dem Kopf, wenn er oder sie, was auch immer es wird, im Januar den ersten großen Auftritt hat.«
»Und du spielst bei diesem Film hier mit?« Ich deutete auf die Requisiten in der Eingangshalle.
»Na ja, eine Hauptrolle ist es nicht gerade. Ich habe die nicht besonders prominente Rolle der Anthea Flighting übernommen, der schwangeren Tochter. Natürlich wurde sie in allen Ehren geschwängert, nämlich von Boaz Hazlewood, der wiederum von Desmond Duncan gespielt wird.«
»Ich dachte, Desmond Duncan ist Junggeselle? Macht er nicht Phyllis Wyvern den Hof?«
»Das schon – aber auch er hat eine Vergangenheit.«
»Ach so«, sagte ich. »Verstehe.« Obwohl ich überhaupt nichts verstand.
»Lass dich anschauen!« Sie nahm mich bei den Schultern und legte den Kopf in den Nacken. »Du bist gewachsen … und du hast endlich mal ein bisschen Farbe im Gesicht.«
»Das liegt nur an der Kälte.«
»Apropos«, sagte sie lachend, »lass uns lieber reingehen, sonst friert mir noch der Nabel ab.«
»Miss Nialla!«, begrüßte Dogger sie, als ich die Tür hinter uns zumachte. »Was für eine Freude, Sie wieder hier auf Buckshaw begrüßen zu dürfen.«
»Vielen Dank, Dogger.« Sie nahm seine Hand. »Ich habe Ihre Freundlichkeit nie vergessen.«
»Das Kleine kommt bald, nicht wahr? Im Januar?«
»Stimmt genau, Dogger. Sie haben ein gutes Auge. Am 25. Januar, sagt mein Arzt. Er meinte, es schadet nichts, wenn ich hier mitmache, solange ich die Finger von den Zigaretten lasse, genug Schlaf bekomme und die Beine hochlege, wenn ich nicht gerade vor der Kamera stehe.«
Sie zwinkerte mir zu.
»Ein ausgezeichneter Ratschlag«, meinte Dogger. »Beherzigen Sie ihn. Hoffentlich war die Busfahrt hierher einigermaßen angenehm?«
»Na ja, der Bus ist eine ziemliche Klapperkiste, aber die Filmgesellschaft konnte kein anderes Transportmittel auftreiben. Zum Glück ist das Ding schwerfällig wie ein Traktor, sonst wären wir bei diesem Schnee bestimmt von der Straße abgekommen.«
Inzwischen hatte Marion Trodd die anderen Schauspieler in die oberen Stockwerke begleitet. Nur wir drei standen noch in der sonst leeren Halle.
»Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer«, sagte Dogger – und winkte mir zum Abschied so komisch mit den Fingern wie Laurel und Hardy.
Kaum waren die beiden verschwunden, klingelte es schon wieder.
Himmel, Blausäure und Arsen! Sollte ich hier den Rest meines Lebens die Pförtnerin spielen?
Wieder wehten Schneeflocken und kalte Luft herein.
»Dieter!«
»Guten Tag, Flavia. Ich bringe ein paar Stühle vom Vikar.«
Dieter Schrantz, groß, blond und gut aussehend, wie es im Radio immer heißt, stand in der Tür und strahlte mich mit seinen blendend weißen Zähnen an. Sein plötzliches Auftauchen brachte mich ein wenig aus der Fassung. Es war gerade so, als lieferte der gewaltige Donnergott Thor die Möbel höchstpersönlich nach Buckshaw.
Als glühender Bewunderer der englischen Literatur, insbesondere der Werke der Brontë-Schwestern, hatte Dieter sich nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft dazu entschlossen, in England zu bleiben, in der Hoffnung, eines schönen Tages englischen Schülern etwas über Wuthering Heights und Jane Eyre beizubringen. Außerdem hoffte er, davon war zumindest ich überzeugt, eines schönen Tages meine Schwester Feely heiraten zu können.
Hinter ihm, in der Einfahrt, hatte der Bus aus Cottesmore einem grauen Ferguson-Traktor Platz gemacht, der leise im Schnee vor sich hintuckerte. Auf dem Anhänger des Traktors stapelten sich unter einer Plane lauter Klappstühle.
»Ich halte Ihnen die Tür auf«, sagte ich. »Kommen Sie heute Abend zur Vorstellung?«
»Na klar!« Dieter lachte. »Euer William Shakespeare ist beinahe ein so großartiger Schriftsteller wie Emily Brontë.«
»Jetzt machen Sie aber mal halblang. Sie wollen mich wohl veralbern.«
Das war einer von Mrs Mullets Standardsprüchen. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn mir mal ausborgen würde.
Dieter
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