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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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schleppte die Stühle – immer sechs Stück auf einmal – ins Haus, bis sie schließlich in mehreren Reihen in der Halle standen und zu der improvisierten Bühne hin ausgerichtet waren.
    »Kommen Sie doch mit in die Küche und trinken Sie einen Becher von Mrs Mullets berühmtem Kakao«, forderte ich ihn auf. »Sie lässt kleine Schlagsahneinseln drin schwimmen, mit Rosmarinzweigen als Bäumen.«
    »Vielen Dank, aber ich muss gleich wieder los. Gordon sieht es nicht gern, wenn ich …«
    »Ich sag Feely, dass Sie hier sind.«
    Ein noch breiteres Grinsen zog sich über Dieters Gesicht.
    »Na schön, in diesem Fall nehme ich dein Angebot vielleicht doch an. Aber eine Schlagsahneinsel ist wirklich mehr als genug.«
    »Feely!«, brüllte ich in Richtung Salon. »Dieter ist da!«
    Warum sollte ich meine Schuhsohlen abnutzen, wenn es nicht unbedingt nötig war? Abgesehen davon hatte Feely selbst zwei gesunde Beine.

9
    S ieh mal einer an!«, sagte Mrs Mullet. »Und wie steht’s auf der Culverhouse Farm?«
    »Es ist sehr ruhig«, antwortete Dieter. »Liegt wahrscheinlich an der Jahreszeit.«
    »Wahrscheinlich«, bestätigte Mrs Mullet, obwohl wir alle drei wussten, dass das nicht der einzige Grund war. Nach den Ereignissen des vergangenen Sommers würde das Weihnachtsfest der Inglebys einigermaßen trostlos ausfallen.
    »Und wie geht’s Mrs Ingleby?«
    »Den Umständen entsprechend, denke ich«, antwortete Dieter.
    »Ich habe Dieter eine Tasse Kakao versprochen«, sagte ich. »Hoffentlich macht Ihnen das nicht zu viele Umstände?«
    »Kakao ist meine Spezi-ali-teet!«, flötete Mrs Mullet. »Das weißt du doch. Kakao macht in keinem ordentlich geführten Haushalt irgendwelche Umstände.«
    »Dann machen Sie am besten gleich drei Tassen«, sagte ich. »Feely muss gleich hier sein, und zwar in … sechs … fünf … vier … drei …«
    Meine Ohren hatten die eiligen Schritte bereits vernommen.
    Eilig? Feely rauschte in vollem Galopp heran!
    »Zwei … eins …«
    Schon flog die Küchentür auf, und Feely kam lässig hereingeschlendert.
    »Huch!« Sie riss erstaunt die Augen auf. »Ich wusste gar nicht, dass Sie hier sind, Dieter.«
    Jetzt brat mir aber einer ’nen Storch! Ich durchschaute sie wie Fensterglas.
    Aber Feelys aufgerissene Augen waren nichts im Vergleich zu denen von Dieter. Beim Anblick ihrer grünen Seidenaufmachung fiel ihm die Kinnlade runter.
    »Ophelia! Einen Augenblick habe ich geglaubt, Sie wären …«
    »Emily Brontë«, fiel sie ihm entzückt ins Wort. »Das habe ich mir schon gedacht.«
    Wenn sie nicht wusste, dass er hier ist, woher wusste sie dann, dass sie ihn an seine geliebte Emily erinnern würde? Dem über beide Ohren verliebten Dieter fiel natürlich nichts auf.
    Wider Willen bewunderte ich meine Schwester Feely. Sie war so glatt wie ein eingeseifter Aal.
    Obwohl ich wusste, dass es wissenschaftlich völlig ausgeschlossen war, kam es mir immer vor, als könnte Mrs Mullet die Milch viel schneller als irgendjemand sonst auf diesem Planeten zum Kochen bringen. Ihr AGA-Herd glühte wie ein Alchimistenofen, und im Nu – und unter ständigem Rühren – hatte sie mehrere dampfende Becher gezaubert, in denen jeweils eine kleine tropische Insel mit einer Palme dümpelte.
    »Es ist viel zu heiß hier drin«, flüsterte Feely Dieter zu, als würde mich das davon abhalten mitzuhören. »Wir gehen lieber in den Salon.«
    Als ich mich ebenfalls in Bewegung setzte, warf sie mir einen Blick zu, der unmissverständlich besagte: »Wenn du es wagst, uns zu folgen, bist du so tot wie eine tote Ente.«
    Natürlich watschelte ich trotzdem hinterher.
    Quaak!, dachte ich.
     
    »Haben Sie in Deutschland auch Weihnachten gefeiert?«, fragte ich Dieter. »Vor dem Krieg, meine ich?«
    »Selbstverständlich«, antwortete er. »Der Weihnachtsmann stammt ursprünglich aus Deutschland. Hast du das nicht gewusst?«
    »Doch. Ich hab’s bloß vergessen.«
    »Wir haben auch geschmückte Weihnachtsbäume. Bei uns bringt der Nikolaus am sechsten Dezember den Kindern Süßigkeiten, und am Weihnachtsabend bringt der Weihnachtsmann oder das Christkind Geschenke für alle.«
    Die letzten Worte waren an Feely gerichtet, die sich verstohlen im Spiegel betrachtete.
    »Es gibt zwei Weihnachtsmänner?«, fragte ich.
    »Sozusagen.«
    Ich atmete auf. Wenn es mir also gelang, einen von ihnen zur Strecke zu bringen und an seiner Arbeit zu hindern, gab es noch einen Ersatzmann, der das zu Ende bringen konnte, was noch zu

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