Vorhang auf für eine Leiche
erledigen war. Zumindest in Deutschland.
Feely war zum Klavier gegangen, wo sie sich zierlich wie ein Schmetterling auf der Bank niederließ. Sie legte die Finger auf die Tasten, ohne sie niederzudrücken, als würde das Instrument bei der falschen Notenkombination sofort in die Luft fliegen.
»Ich fahr dann mal wieder.« Dieter trank aus.
»Ach, können Sie denn nicht noch ein bisschen bleiben?«, fragte Feely rasch. »Ich wollte Sie nämlich bitten, mir die Anmerkungen auf meinem Faksimiledruck von Bachs Wohltemperiertem Klavier zu übersetzen.«
»Wenn du es spielst, müsste es eigentlich Das miserabel temperierte Klavier heißen«, sagte ich. »Sie flucht immer wie ein Droschkenkutscher, wenn sie einen Patzer macht«, klärte ich Dieter auf.
Feely wurde so rot wie der Teppich, wagte es aber im Beisein des Besuchers nicht, mir eine runterzuhauen.
Mit ihrem knallroten Gesicht und dem grünen Kleid erinnerte sie mich an etwas, das ich erst vor kurzer Zeit in einer Farbbeilage der Zeitung gesehen hatte. Was war es noch gleich gewesen …?
Ach, richtig!
»Du siehst aus wie die Fahne von Portugal«, sagte ich. »Ich lasse euch mal allein, damit du Dieter zum Abschied wehen kannst.«
Für diese Frechheit würde ich später bezahlen müssen, aber Dieters herzliches Lachen war mir die Sache wert.
Unser sonst so stilles, kaltes Haus hatte sich in den reinsten Bienenstock verwandelt. Tischler hämmerten, Maler malten, und die verschiedensten Leute schauten an den verschiedensten Stellen der Halle durch improvisierte Rahmen, die sie mit den rechtwinklig aneinandergelegten Daumen und Zeigefingern beider Hände bildeten.
Überall waren Scheinwerfer angebracht. Manche hingen von skelettähnlichen Gerüsten, andere saßen auf dürren Stativen, und alle waren mit einem Gewirr von schwarzen Drähten und Kabeln verbunden.
Mit seitlich ausgestreckten Armen spazierte ich durch den Raum und tat so, als balancierte ich über eine Grube voller schlafender Schlangen, Giftschlangen natürlich, die jeden Augenblick erwachen konnten und …
»He, Flavia!«
Ich schaute hoch und erblickte das rötliche Gesicht von Gil Crawford, dem Dorfelektriker. Er feixte durch das Gestänge eines Gerüsts, das sich über die ganze Breite der Haustür erstreckte, zu mir herunter. Gil hatte mir damals sehr geholfen, einige der an Frankenstein erinnernden elektrischen Geräte in Onkel Tars Labor wieder zum Leben zu erwecken, und sich sogar die Zeit genommen, mich im Umgang mit einigen der Starkstromapparate zu unterweisen.
»Wie lautet der Spruch?«, hatte er immer gefragt und mich die folgenden Zeilen immer wieder aufsagen lassen:
»Braun führt den Strom, davor hüte dich.
Blau ist neutral und schadet nicht.
Grüngelb bei Kurzschluss den Strom unterbricht.
Merk dir die drei und verwechsle sie nicht,
Sonst ist bald erloschen
Dein Lebenslicht.«
Was Stromkabel und Lebenserwartung anging, galt Gil als Fachmann.
»Er war im Krieg bei einer Spezialeinheit«, hatte mir Mrs Mullet einmal flüsternd verraten, während sie auf dem Küchentisch einen Hasen ausnahm. »Die haben dort gelernt, wie man Leute mit einer Klaviersaite um den Hals erdrosselt. Zack-Ratsch! «
Dazu hatte sie eine grässliche Grimasse gezogen und zur zusätzlichen Veranschaulichung die Zunge aus dem Mundwinkel gestreckt.
»›Ruckzuck ging das‹, sagt mein Alf immer. Im nächsten Augenblick sitzt das Opfer mit ’ner Harfe in der Hand auf ’ner Wolke und fragt sich, wo um Himmels willen die Welt auf einmal abgeblieben ist.«
»Mr Crawford!«, rief ich zu Gil hinauf. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich hab halt überall meine Finger drin«, übertönte er das Gehämmer.
Ich setzte den Fuß auf die Leiter neben dem Gerüst und kletterte sie Hand über Hand hoch. Schon stand ich auf den Brettern der behelfsmäßigen Plattform.
»Ich war früher als Lehrling bei ’ner Filmfirma«, verkündete Gil stolz. »Man muss immer auf dem Laufenden bleiben. Heutzutage kann man nie wissen!«
»Wie geht es Mrs Crawford?«, erkundigte ich mich.
Seine Frau Martha hatte mich erst neulich zum Tee eingeladen, während sie aus einer Schachtel mit ausrangierten Röhren einen uralten Gleichrichter für eine Hochfrequenz-Leuchtstoffröhre herauskramte – für den sie keinen Penny haben wollte. Bis heute hatte ich diese Schuld noch nicht begleichen können.
»Ausgezeichnet«, lautete die Antwort. »Ganz fabelhaft. Sie kümmert sich um den Laden, damit ich mir dieses kleine
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