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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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begutachtete. Doch als ich mich eben entschlossen hatte, nachzugeben und dem Inspektor zuzunicken, ging der, ohne sich zu mir umzudrehen, auf Dr. Darby zu, der plötzlich auf der Westtreppe stand.
    Mist, verdammter! Hätte ich meine Gedanken beisammengehabt, hätte ich den Inspektor natürlich selbst in Empfang genommen und an den Tatort geführt.
    Diese Chance hatte ich gründlich vergeigt. Ich hatte mich aus dem Sterbezimmer (so hieß es immer in den Radiosendungen) selbst ausgeschlossen, und jetzt war es zu spät, um Kreide zu fressen.
    Oder doch nicht?
    »Ach, Mrs Mullet!«, rief ich und stürmte in die Küche, als hätte ich die Neuigkeit gerade vernommen. »Etwas Furchtbares ist passiert! Miss Wyvern ist etwas zugestoßen, und soeben ist Inspektor Hewitt eingetroffen. Bei diesem Wetter und so weiter freut er sich bestimmt über eine Tasse von Ihrem berühmten Tee.«
    Schmeicheleien können nie zu heiß serviert werden.
    »Wenn du damit meinst, dass Miss Wyvern tot ist«, entgegnete Mrs Mullet, »das weiß ich schon längst. So was spricht sich rum wie ein Lauffeuer. Ja, furchtbar ist das, aber so was kann man einfach nicht geheim halten, stimmt’s, Alf?«
    Alf nickte.
    »Als ich Dr. Darbys Gesicht gesehen hab, wusste ich gleich Bescheid. Wenn’s um den Tod geht, wird der Doktor immer ganz feierlich. Ich weiß noch gut, wie es Mrs Tarbell in der Badewanne erwischt hat. So ist er nun mal, unser Doktor. Er könnte sich genauso gut ein Schild auf die Stirn kleben, wo draufsteht: ›Sie ist tot‹, hab ich recht, Alf?«
    »Ein Schild«, sagte Alf. »Auf die Stirn. Ganz genau.«
    »Ich hab’s Alf gleich gesagt, stimmt’s, Alf? Alf, hab ich gesagt, da stimmt was nicht, hab ich gesagt. Dr. Darby zieht so ein Gesicht, ich hab ihn eben im Korridor gesehen, und wenn ich’s nicht besser wüsste: Ich würd sagen, dass wir eine Leiche im Haus haben. Genau das hab ich gesagt, stimmt’s, Alf?«
    »So und nicht anders«, bestätigte Alf.
     
    Ich machte mir nicht die Mühe anzuklopfen. Ich marschierte einfach ins Blaue Zimmer, als wäre ich im Scotland Yard zur Welt gekommen.
    Ich drückte die Tür mit dem Po auf und manövrierte das Tablett durch die geöffnete Tür, so wie ich es schon oft bei Mrs Mullet gesehen hatte.
    Im ersten Augenblick dachte ich, ich hätte den Inspektor damit verärgert.
    Er drehte sich langsam um und gönnte mir kaum mehr als einen flüchtigen Blick.
    »Vielen Dank«, sagte er. »Stell einfach alles auf den Tisch.«
    Ich gehorchte wie ein dressiertes Hündchen und betete, dass er mich nicht gleich wieder hinauswerfen würde.
    »Vielen Dank«, wiederholte er. »Sehr nett von dir. Richte bitte auch Mrs Mullet unseren Dank aus.«
    Sollte heißen: »Verzieh dich.«
    Dr. Darby sagte gar nichts, sondern fischte umständlich ein Bonbon aus der unerschöpflichen Tüte in seiner Westentasche.
    Ich verharrte reglos wie eine Schlange im Winterschlaf.
    »Danke, Flavia!«, sagte der Inspektor, ohne mich anzusehen.
    Wenigstens hatte er meinen Namen nicht vergessen.
    Eine von Sekunde zu Sekunde bedrückendere Stille breitete sich aus. Ich beschloss, sie zu brechen, ehe mir noch jemand zuvorkam.
    »Bestimmt ist Ihnen schon aufgefallen«, platzte ich heraus, »dass sie erst nach ihrem Tod geschminkt wurde.«

13
    Z u meiner großen Überraschung lachte der Inspektor in sich hinein.
    »Ist das wieder mal eine deiner chemischen Schlussfolgerungen?«
    »Keineswegs. Mir ist nur das Make-up oben auf der Unterlippe aufgefallen. Da sie einen leichten Überbiss hat, hätte sie es im Nu abgeleckt – falls sie noch am Leben gewesen wäre.«
    Auch Dr. Darby beugte sich jetzt vor und inspizierte Phyllis Wyverns Lippen.
    »Donnerlittchen«, sagte er. »Die Kleine hat recht.«
    Klar hatte ich recht. Die endlosen Stunden, die ich zum Einstellen und Nachstellen meiner Zahnspange in Dr. Reekies Folterkammer in der Farringdon Street verbracht hatte, hatten mich zu einer führenden Expertin auf dem Feld der Kieferkorrektur gemacht. Offen gestanden hatte ich mich seinerzeit selbst als Nussknacker in Menschengestalt gesehen. Für mich war Phyllis Wyverns Fehlstellung des Unterkiefers so unübersehbar wie ein Pferd in einer Vogeltränke.
    »Und wann hast du diese Beobachtung gemacht?«, wollte der Inspektor wissen.
    Eins musste man ihm lassen: Für einen älteren Herrn verfügte er über einen bemerkenswert flinken Verstand.
    »Ich habe die Leiche gefunden«, klärte ich ihn auf. »Dann bin ich gleich zu Dogger gegangen.«
    »Wieso

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