Vorhang auf für eine Leiche
andere waren sie, Gott allein wusste, warum, bis über beide Ohren in meine blöde Schwester verknallt.
Wie lange würde es dauern, bis sie sich um Feely prügelten?
»Ned und Carl haben sich freiwillig dazu gemeldet, den Hof vor dem Haus freizuschippen. Der Vikar hat einen Schneeschaufeltrupp zusammengestellt.«
»Wozu das denn?«
Das war doch völlig witzlos. Wenn alle Straßen unpassierbar waren, was brachte es dann, wenn unsere Zufahrt freigeschippt wurde?
»Weil es eine altbekannte Tatsache ist«, sagte Tante Felicity hinter mir, »dass mehr als zwei Männer, die länger als eine Stunde in einem geschlossenen Raum zusammengepfercht sind, eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Wenn wir uns Unannehmlichkeiten ersparen wollen, müssen wir sie nach draußen schicken, damit sie ihre animalischen Triebe abreagieren können.«
Bei der Vorstellung, wie sich Bunny Spirling und der Vikar je eine Schneeschaufel schnappten, um ihre animalischen Triebe abzureagieren, musste ich mir das Lachen verbeißen. Ob Tante Felicity schon von Phyllis Wyverns Tod erfahren hatte?
»Abgesehen davon«, sagte sie, »muss der Leichenwagen durchkommen und ihre sterblichen Überreste abholen. Wir können sie ja wohl schlecht mit dem Hundeschlitten wegschaffen.«
Damit war meine Frage beantwortet. Und eine andere ergab sich daraus.
Die Treppe vom Labor aufs Dach war steil und eng. Hier war schon seit Jahren niemand mehr, dachte ich. Außer mir.
Oben führte eine Tür aufs Dach hinaus – jedenfalls theoretisch. Ich kämpfte mit dem Riegel, bis er endlich nachgab. Dabei klemmte ich mir bös die Finger ein. Anschließend jedoch steckte die Tür selbst fest, wahrscheinlich, weil auf der anderen Seite eine Schneewehe dagegendrückte. Ich stemmte die Schulter gegen das Türblatt und drückte.
Mit dem ganz eigenen Stöhnen, das Schnee von sich gibt, wenn er sich auf keinen Fall von der Stelle bewegen will, ging die Tür schließlich einen Spaltbreit auf.
Ich wusste ja, dass sich mir nur Millionen winziger Kristalle widersetzten, aber die Kraft ihrer chemischen Verbindung war gewaltig. Wenn wir doch alle wie der Schnee wären, dachte ich – wie glücklich könnten wir sein.
Ich drückte noch einmal und gewann ein paar Zentimeter hinzu. Und noch ein paar.
Nach einem schier endlosen Kampf gelang es mir, mich zwischen Tür und Rahmen hindurchzuzwängen und auf das Dach hinauszutreten.
Sofort stand ich bis zu den Knien im Schnee.
Bibbernd zog ich mir die Strickjacke bis zum Kinn hoch und watete zu den Mauerzinnen, wobei in meinem Hinterkopf sämtliche Ermahnungen von Mrs Mullet loszeterten, die sich auf Lungenentzündungen und auf das wichtige Warmhalten der Brust bezogen.
»Sie war höchstens eine Minute draußen«, hatte sie mir mit aufgerissenen Augen erzählt. Damals war es um Mrs Milne, die Frau des Metzgers, gegangen. »Nur so lange, bis sie die Windeln auf die Leine gehängt hatte. Mehr war nicht nötig. Um vier Uhr fing sie an zu husten, um sieben war ihr Kopf so heiß wie die arabische Wüste, und als am nächsten Morgen die Sonne aufging, lag sie steif wie ein Brett in der Kiste. Lungenentzündung. Nix putzt einen so schnell weg wie ’ne Lungenentzündung. Da ertrinkt man in seinen eigenen Säften.«
Ich schaute nach Osten, wo die hügelige Landschaft unter einer lückenlosen, blendend weißen Schneeschicht lag. Irgendwelche Fußspuren hätte ich sofort gesehen, aber es gab keine.
Trotz der eiskalten Brühe, die nach und nach in meine Schuhe suppte, zwang ich mich, bis zur Nordseite zu stapfen, wo ich zitternd wie Espenlaub in den Vorhof hinabspähte.
Dort stand Dieters Traktor, wie mit Schnee bedeckt – ein grauer Umriss unter einer weißen Decke. Daneben stand der blaue Vauxhall, den ich sofort als Inspektor Hewitts Wagen erkannte.
Auf dem Vorhof schippte und schaufelte sich die Mannschaft des Vikars, angetan mit Handschuhen und Galoschen, unerschrocken durch die Schneewehen und blies dabei weiße Wölkchen in die bitterkalte Luft. Sie hatten inzwischen die Fläche eines kleineren Tennisplatzes freigeschaufelt, aber die füllte sich bei dem unablässig wehenden Wind schon wieder mit langen Streifen Schnee.
In der Mitte der Zufahrt war eine schmale Bahn gezogen worden, die von hoch aufgetürmten Schneewänden gesäumt war. Hier und da sah man tiefe Kettenabdrücke, die zu dem geparkten Vauxhall führten. Ein unverkennbares Indiz dafür, dass die Polizei einen Abschleppwagen mit anmontiertem Schneepflug
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