Vorhang auf für eine Leiche
Brock, unseren Nachbarn. Max hatte eine kleine Mauer aus Büchern um sich herum gebaut.«
»Sonst noch jemanden?«
»Das sind die, die mir aufgefallen sind. Ach ja, und Dieter natürlich. Er lag auf dem Treppenabsatz. Ich musste auf Zehenspitzen um ihn herumschleichen.«
»Hast du auf dem Weg zum Blauen Zimmer noch jemanden oder etwas gesehen?«
»Nein. Nichts.«
»Vielen Dank.« Der Inspektor klappte sein Notizbuch zu. »Du hast mir sehr geholfen.«
Hatte er mir verziehen oder war er einfach nur höflich?
»Und jetzt wäre ich dir wie gesagt dankbar für deine Unterstützung bei einem kleinen Experiment. Es müsste aber sofort durchgeführt werden.«
Ich nickte verständnisvoll.
»Habt ihr eine Ausgabe von Romeo und Julia in eurer Bibliothek? Es würde mich offen gestanden wundern, wenn nicht.«
»Meine Schwester Daffy holt sich immer eine Ausgabe mit seinen gesammelten Werken, wenn sie besonders wissbegierig wirken will. Können wir die nehmen?«
Leider hatte ich keinen blassen Schimmer, wo ich das Buch suchen sollte. Und ich hatte auch nicht vor, mich am Weihnachtsabend durch Millionen von Büchern zu wühlen. Schließlich war ich, wie man so schön sagt, auf einen dickeren Fisch aus.
»Bestimmt. Es wäre schön, wenn du das Buch schnell holen könntest. Bist ein braves Mädchen.«
Jedem anderen außer Inspektor Hewitt wäre ich bei dieser Bemerkung an die Gurgel gegangen. Bei ihm jedoch benahm ich mich wie ein Spaniel, der treudoof darauf wartet, seinem Herrchen die Pantoffeln zu bringen.
»Wird auf der Stelle erledigt!«, hätte ich seinem Rücken beinahe zugerufen, als er hinausging.
Feely hielt im Salon Hof, und ich muss leider zugeben, dass sie noch nie schöner ausgesehen hatte. An ihren verstohlenen Blicken in den Spiegel erkannte ich, dass sie derselben Meinung war. Ihr Gesicht strahlte, als hätte ihr jemand eine Glühbirne in den Schädel geschraubt, und sie klimperte anmutig mit den Wimpern in Richtung von Carl, Dieter und Ned, die sich bewundernd um sie scharten, als wäre Feely die Jungfrau Maria und sie die drei Weisen aus dem Morgenland – Caspar, Melchior und Balthasar.
Eigentlich kein schlechter Vergleich, dachte ich, schließlich hatten zwei von ihnen, nämlich Ned und Carl, Geschenke gebracht. Carls war von Vater natürlich längst den Flammen übergeben worden, was den Überbringer jedoch nicht zu bekümmern schien, denn er lehnte lächelnd und lässig am Kaminsims, hatte die Hände in den Hosentaschen und kaute gleichmäßig wie ein Uhrwerk auf seinem Kaugummi herum.
Neds prähistorische Pralinen waren nirgends zu erblicken und höchstwahrscheinlich neben ihren Vorgängern in Feelys Wäscheschublade zur letzten Ruhe gebettet worden.
Detective Sergeant Graves, der anscheinend gerade damit fertig geworden war, Feelys andere glückliche Sklaven zu befragen, saß in einer Ecke und schrieb seine Notizen ins Reine, aber daran, wie er ab und zu unauffällig von seiner Arbeit aufschaute, erkannte ich, dass er seine Nebenbuhler stets im Auge behielt.
Nur Dieter, dachte ich, war klug genug gewesen, Weihrauch und Myrrhe wegzulassen.
Das dachte ich jedenfalls so lange, bis er in seine Tasche griff, ein kleines Etui herausholte und es Feely wortlos überreichte.
Heiliges Kanonenrohr!, dachte ich. Jetzt macht er ihr einen Antrag!
Feely kostete die Situation natürlich aus. Sie untersuchte die Schachtel von allen sechs Seiten, als berge jede von ihnen eine geheimnisvolle Inschrift, die von Engeln mit güldener Tinte verfasst war.
»Nein, so was, Dieter!«, hauchte sie. »Wie hübsch!«
Es ist bloß eine Schachtel, du blöde Schnecke! Mach schon auf!
Feely öffnete die Schachtel mit quälender Langsamkeit.
»Oh!«, sagte sie. »Ein Ring!«
Ned und Carl sahen einander mit offenen Mündern kurz an.
»Ein Freundschaftsring«, setzte Feely hinzu. Ich konnte nicht heraushören, ob sie enttäuscht war.
Sie zog den Ring mit Daumen und Zeigefinger heraus und hielt ihn ins Licht. Er war breit und golden und von Ornamenten durchbrochen – ich identifizierte ein Herz mit einer Krone darüber, dann drehte Feely das Schmuckstück um.
»Was soll der Ring bedeuten?«, fragte sie und sah Dieter in die Augen.
»Alles, was er dir bedeuten will«, lautete Dieters Antwort.
Feely lief rot an und steckte das Etui hastig ein.
»Das hättest du nicht tun sollen«, brachte sie heraus, dann drehte sie sich um und ging zu unserem alten Broadwood-Flügel, der vor dem Fenster stand.
Dort strich
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