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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Lockvogel«, antwortete ich. »Ich glaube, der Vikar hatte noch andere Absichten. Es ging um Spenden für das marode Kirchendach. Wahrscheinlich wollte er auch die Puddock-Schwestern um eine Darbietung bitten und die ganze Aufführung mit einer seiner eigenen Rezitationen, wie zum Beispiel ›Albert und der Löwe‹, abschließen. Er hat Phyllis vielleicht als Erste auftreten lassen, weil er es womöglich für respektlos hielt, sie wegen eines Haufens Amateure warten zu lassen. Aber das ist nur eine Vermutung. Am besten fragen Sie ihn selbst, wenn er wieder da ist.«
    »Mach ich. Aber es kann gut sein, dass du recht hast.«
    Der Inspektor schob seine Hemdmanschette zurück und schaute auf seine Armbanduhr.
    »Nur noch ein paar Fragen«, sagte er, »und dann wäre es mir lieb, wenn du mir bei einem Experiment helfen würdest.«
    Halleluja! Endlich wurde ich als Gleiche unter Gleichen anerkannt – zumindest sah es so aus. Der Weihnachtsmann hätte mir kein schöneres Geschenk machen können. Mit einem freudigen Stich fiel mir wieder ein, dass der alte Herr und ich in den kommenden Stunden noch etwas zu erledigen hatten. Vielleicht konnte ich mich ja persönlich bei ihm bedanken.
    »Das lässt sich bestimmt machen, Herr Inspektor«, erwiderte ich, »obwohl ich gerade schwer beschäftigt bin.«
    Halt die Klappe, Flavia!, dachte ich. Lass den Quatsch, sonst beiß ich dir die Zunge von innen ab und spuck sie auf den Teppich!
    »Na schön«, sagte er. »Was hattest du im Blauen Zimmer zu suchen?«
    »Ich wollte mit Miss Wyvern reden.«
    »Worüber?«
    »Über alles.«
    »Wieso ausgerechnet um diese Uhrzeit? Es war doch schon sehr spät.«
    »Ich habe gehört, dass ihr Film gerade zu Ende ging. Daraus schloss ich, dass sie noch wach war.«
    Bei meinen Worten fuhr mir ein eiskalter Schrecken in die Glieder. Warum hatte ich nicht schon früher daran gedacht? Phyllis Wyvern hätte zu diesem Zeitpunkt längst tot sein können.
    »Aber vielleicht«, setzte ich hinzu, »vielleicht …«
    Der Inspektor hielt den Blick fest auf mich geheftet. Er wollte, dass ich weitersprach.
    »Eine Rolle Sechzehnmillimeterfilm läuft fünfundvierzig Minuten«, sagte ich. »Ein ganzer Spielfilm hat zwei Rollen.«
    Da war ich mir ganz sicher. Ich hatte im Gemeindesaal schon genug langweilige Streifen gesehen, um die Dauer dieser Qual auf die Sekunde genau bestimmen zu können. Außerdem hatte ich mich mal bei Mr Mitchell danach erkundigt.
    »Der Film war zu Ende, kurz bevor ich vor der Tür stand. Ich habe noch den Satz ›Nie werde ich Burg Falkenklau vergessen‹ gehört, als ich aus meinem Zimmer gekommen bin. Als ich Miss Wyverns Leiche gefunden habe, flatterte das Ende des Filmstreifens schon lose im Kreis herum. Aber …«
    »Ja?« Der Blick des Inspektors war so konzentriert wie der eines Spürhunds.
    »Wenn sie aber schon tot war, bevor der Film anfing? Vielleicht hat ja der Mörder den Projektor angestellt.«
    Auf einmal fügten sich vor meinem inneren Auge sämtliche Puzzleteile rasend schnell zusammen. Ein früherer Todeszeitpunkt würde erklären, weshalb Phyllis Wyverns Leichnam bereits Verfärbungen aufwies, als ich ihn fand. Das verriet ich dem Inspektor allerdings nicht. Ich wollte ihm ja nicht die ganze Arbeit abnehmen.
    »Eine exzellente Hypothese«, sagte er. »Hast du abgesehen vom Klatschen des Filmstreifens noch etwas anderes gehört?«
    »Ja. Als ich durch die Eingangshalle ging, wurde irgendwo eine Tür geschlossen. Und jemand hat die Klospülung betätigt.«
    »Vor oder nach dem Türenschließen?«
    »Danach. Die Tür ging zu, als ich ungefähr in der Mitte der Treppe war. Und als die Klospülung rauschte, war ich schon auf halbem Weg durch die Halle.«
    »So rasch?«
    »Ja.«
    »Das ist merkwürdig«, sagte Inspektor Hewitt.
    Ich begriff erst später, was er damit meinte.
    »Von den Leuten in eurer Eingangshalle … Wen hast du dort alles erkannt?«
    »Den Vikar«, sagte ich. »Er hat im Schlaf geredet.«
    »Geredet?«
    Warum kam ich mir plötzlich vor wie eine gemeine Petze?
    »Er hat gesagt: ›Nein, Hannah! Bitte nicht!‹ Aber nur ganz leise.«
    »Sonst nichts?«
    »Nein.«
    Der Inspektor schrieb etwas in sein Notizbuch.
    »Erzähl weiter. Wen hast du noch alles gesehen?«
    »Cynthia Richardson, die Frau des Vikars …«
    Ich zählte einen nach dem anderen an den Fingern ab:
    »Mrs Mullet … und ihren Mann Alf … Dr. Darby … Ned Cropper … Mary Stoker … Bunny Spirling … Max – ich meine Maximilian

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