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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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sie ihr Kleid glatt und setzte sich an die Tasten.
    Ich erkannte die Melodie, noch ehe die ersten drei Töne aus dem Instrument perlten. Es war »Für Elise« von Beethoven – Larry B., wie ich ihn allein schon deshalb gern nannte, weil ich Feely damit zuverlässig auf die Palme brachte.
    Ich wusste auch, dass Dieters Mutter, die im fernen Berlin wohnte, Elise hieß. Er hatte schon mehrfach in einem ganz besonderen Tonfall von ihr gesprochen, einer Art banger Vorfreude, als säße sie im Nebenzimmer und wartete nur darauf, hereinzukommen und ihn zu überraschen.
    Das Klavierstück war so etwas wie eine private Botschaft an Dieter, eine Botschaft, die von anderen Ohren – mit Ausnahme vielleicht meiner eigenen und denen von Daffy – nicht entschlüsselt werden konnte.
    Es war nicht der rechte Augenblick, in Kriegsgeheul auszubrechen oder Räder quer durch den Salon zu schlagen, weshalb ich mich damit begnügte, Dieter die Hand zu schütteln.
    »Frohe Weihnachten «, sagte ich auf Deutsch zu ihm.
    »Frohe Weihnachten «, erwiderte er mit einem Grinsen so breit wie der Ärmelkanal.
    Während Feely spielte, mahlte Carl im Takt mit dem Unterkiefer, und Ned trommelte mit dem Absatz auf den Teppich.
    Eine solch harmonische häusliche Szene konnte man auf Buckshaw nur selten erleben, weshalb ich mich kaum daran sattsehen konnte und mit Augen, Ohren und sogar mit der Nase alles in mich einsog.
    Im Kamin knackten und qualmten die Scheite, und »Für Elise« entfaltete seinen unwiderstehlichen Zauber.
    Frohes Fest, Flavia, dachte ich und prägte mir das Ganze noch einmal gut ein, für den Fall, dass ich irgendwann später darauf würde zurückgreifen müssen, weil ich trostbedürftig wäre. Frohes Fest. Du hast es dir redlich verdient.
     
    Daffy war allein in der Bibliothek, wo sie wie ein Taschenmesser zusammengeklappt quer über einem Sessel lag.
    »Na, noch alles klar im Bleak House? «, erkundigte ich mich.
    Sie sah von dem Buch auf, als wäre ich ein tollpatschiger Einbrecher, der soeben durchs Fenster geplumpst war.
    »Dieter hat Feely einen Ring geschenkt«, sagte ich.
    »Und, ging er glatt durch die Nase?«
    »Komm schon, Daffy. Du weißt genau, was ich meine. Einen Ring, den man am Finger trägt.«
    »Prima. Ein unnützer Esser weniger. Und wenn du jetzt so freundlich wärst …«
    »Ganz schön übel, das mit Phyllis Wyvern, was?«
    »Flavia …«
    »Ich finde diesen Shakespeare gar nicht so schlecht.« Damit hatte ich sie am Haken. »Weißt du, welche Stelle mir bei Romeo und Julia am besten gefällt? Die Stelle, wo Romeo davon schwärmt, dass Julias Augen den hellsten Sternen am ganzen Himmel gleichen.«
    »Den schönsten Sternen«, korrigierte Daffy.
    »Dann eben den schönsten Sternen. Wie auch immer, so wie Shakespeare es beschreibt, konnte ich es mir richtig vorstellen – wie in Julias Gesicht zwei Sterne leuchten und ihre Augen stattdessen am Himmel hängen …«
    Ich zog mit der gespreizten rechten Hand meine Unterlider herunter, sodass man das Rote sah, gleichzeitig drückte ich mit der linken Hand meine Nase hoch.
    »Buuuhuuu! Da haben sich die Hirten auf dem Felde vor lauter Schreck bestimmt in die Hosen du-weißt-schonwas.«
    »In Romeo und Julia gibt es keine Hirten auf dem Felde.«
    »Warum sagt dann Romeo: ›Dass Schafe blökten, froh den Tag zu grüßen‹?«
    »Er sagt nichts von Schafen.«
    »Duncan hat aber ›Schafe‹ gesagt. Ich habe doch direkt vor ihm gesessen, Daffy. Ich hab’s genau gehört.«
    Daffy sprang aus ihrem Sessel und marschierte zu einem Bücherregal. Sie zog einen dicken Wälzer heraus und blätterte so aufgebracht darin herum, dass die Seiten nur so flogen.
    »Hier! Lies selber! Was steht da?«
    Ich legte den Kopf schief und glotzte so lange ich es wagte auf die Seite.
    »›Dass Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen‹«, sagte ich dann widerstrebend. »Desmond hat trotzdem ›Schafe‹ gesagt.«
    Daffy schlug das Buch wutschnaubend zu, faltete sich so wie zuvor in den Sessel und hatte sich im Handumdrehen wieder so wohlig und warm in die Vergangenheit eingemummelt wie in eine alte Decke.
    Verstohlen wie eine Bibliotheksmaus griff ich mir den guten Bill Shakespeare, klemmte ihn unter den Arm und huschte hinaus.
    Auftrag erfüllt.

15
    D er Schrei kam aus dem Nichts und brach sich in einer regelrechten Klanglawine an der Holzvertäfelung der Eingangshalle.
    »Großer Gott!«, rief Bunny Spirling erschrocken. »Was in aller Welt war das denn?«
    Alle schauten sich

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