Vorhang auf für eine Leiche
würde ich gegen den Official Secrets Act, das Geheimhaltungsgesetz, verstoßen, und du darfst mich auch nicht danach fragen. Jedenfalls trifft man seither mit schöner Regelmäßigkeit immer mal wieder alte Weggefährten, die man laut Gesetz nicht wiedererkennen darf.«
»Aber Ted hat dich doch gegrüßt.«
»Ein schlimmer Schnitzer seinerseits. Wenn ich dem Burschen noch mal unter vier Augen begegne, muss ich ihn gehörig zusammenstauchen.«
»Und Phyllis Wyvern?«
Tante Felicity seufzte.
»Phyllis«, sagte sie leise, »war auch eine von uns.«
»Eine von – euch? «
»Wie gesagt, du darfst niemals darüber sprechen.« Sie drückte meinen Arm noch fester. »Du musst es mit ins Grab nehmen. Wenn du doch plauderst, bin ich leider gezwungen, dir mit einem Tranchiermesser in der Hand einen nächtlichen Besuch abzustatten.«
»Aber, Tante Felicity, ich hab’s doch versprochen! «
»Stimmt.« Sie lockerte ihren Griff.
»Phyllis Wyvern war eine von euch«, half ich ihr auf die Sprünge.
»Sie war unersetzlich. Ihre Bekanntheit öffnete Türen, die uns gewöhnlichen Sterblichen verschlossen geblieben wären. Man hat sie gezwungen, eine Rolle zu spielen, die weit gefährlicher war als alle Rollen, die sie auf der Bühne oder auf der Leinwand gespielt hatte.«
»Woher weißt du das?« Ich konnte meine Neugier nicht bezähmen.
»Tut mir leid, Schätzchen. Das darf ich dir nicht sagen.«
»Ist Val Lampman auch einer von euch gewesen? Bestimmt, schließlich ist er Phyllis Wyverns Bruder.«
Tante Felicity stieß ein dumpfes Gurgeln aus, und ich dachte schon, sie spuckt ihre Rosinenbrötchen wieder aus, aber letztendlich erinnerten die Laute eher an das I-a eines Esels. Ihre Schultern zuckten, und ihr Busen bebte.
Meine gute alte Tante lachte.
»Ihr Bruder? Phyllis Wyverns Bruder? Wer hat dir denn den Floh ins Ohr gesetzt?«
»Das weiß ich von ihrem Führerschein. Sie heißen beide Lampman.«
»Ach so.« Tante Felicity trocknete sich mit dem Saum der Häkeldecke die Augen.
»Phyllis Wyverns Bruder!«, sagte sie noch einmal, als wiederholte sie einem unsichtbaren Zuhörer die Pointe eines Witzes. »Weit gefehlt, meine Kleine – sehr weit sogar. Sie ist seine Mutter.«
Jetzt fiel mir die Kinnlade herunter, wie bei einer Leiche, der man die Kinnbinde zu früh abgenommen hat.
»Seine Mutter? Phyllis Wyvern ist Val Lampmans Mutter?«
»Da staunst du, was? Sie war noch sehr jung gewesen, als sie ihn zur Welt brachte, gerade mal siebzehn, und Val … Sein Alter lässt sich nun mal schwer schätzen.«
Also das steckte dahinter! Val Lampman war tatsächlich der »Waldemar« aus dem who’s who, aber er war Phyllis Wyverns Sohn, nicht ihr Bruder, wie ich fälschlich angenommen hatte. Am liebsten wäre ich rot geworden, aber dazu war ich viel zu aufgeregt.
»Sie hatte schon ein Jahr vorher eine Tochter geboren«, fuhr Tante Felicity fort. »Ich glaube, sie hieß Veronica. Armes Kind. Über die Tragödie damals wurde nie mehr gesprochen.«
»Phyllida – oder Phyllis, wie sie sich lieber nannte – war eine Zeit lang mit dem verstorbenen und nicht allzu beweinten Lorenzo verheiratet, der trotz seines blauen Blutes und des großen Altersunterschieds der beiden immer noch ein überaus umtriebiger Geschäftsmann war. Er handelte mit Perserteppichen oder Perücken, das bringe ich immer durcheinander.«
»Wahrscheinlich Perücken, schließlich trug seine Frau eine.«
Tante Felicity warf mir einen missbilligenden Blick zu, als hätte ich ein Geheimnis ausgeplaudert.
»Die Perücke ist runtergefallen«, erklärte ich. »Ich wollte nicht, dass das Laken, das die Polizei über ihre Leiche gelegt hat, ihre Frisur durcheinanderbringt.«
Das Schweigen, das sich zwischen uns ausbreitete, war so dick, dass man einen Löffel hätte hineinstecken können.
»Arme Philly«, sagte Tante Felicity dann. »Die feindlichen Agenten haben ihr Schlimmes angetan. Chemikalien, glaube ich. Ihre Haare waren ihr ganzer Stolz. Ebenso gut hätten sie ihr das Herz herausreißen können.«
Chemikalien? Folter?
Auch Dogger war gefoltert worden, im Fernen Osten. Schon merkwürdig, wie diese vergangenen Gräueltaten ihren Weg in unser friedliches Bishop’s Lacey fanden.
»Weiß Vater Bescheid? Über Phyllida Lampman, meine ich?«
»Sie hat unter der Regie von Malinovsky etliche Filme im Ausland gedreht«, fuhr Tante Felicity fort und betrachtete dabei ihre Hände, als gehörten sie einer Fremden. »Der bedeutendste war natürlich Anna
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