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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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aus der Steppe, eine Rolle, die direkt zu ihrem Geheimauftrag und damit zu ihrem Untergang führte. Sie kam zwar mit dem Leben davon, aber sie erlitt einen Nervenzusammenbruch und entwickelte eine irrationale Angst vor allen Osteuropäern.«
    »Wollte sie deswegen immer nur mit den gleichen britischen Filmleuten arbeiten?«
    »Ganz recht.«
    Wir hatten die Wiederaufführung von Anna aus der Steppe im Kino in Hinley gesehen, wo der Film – mit englischen Untertiteln – unter dem Titel Bereit zu sterben gezeigt wurde.
    Obwohl der Film anfangs einer dieser sterbenslangweiligen Streifen über die russische Revolution zu sein schien, wurde ich bald in die Geschichte hineingezogen und war von den ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Bildern so geblendet, als hätte ich zu lange in die Sonne geschaut.
    Von der unvergesslichen Szene, in der Phyllis Wyvern als Anna das russische Kleid und die schweren Stiefel ihrer Großmutter anzieht, sich sorgfältig frisiert, das Parfum und den Lippenstift auflegt, die ihr Liebhaber Marcel ihr aus Paris mitgebracht hat, und sich dann mit ihrem ein Jahr alten Baby vor die Armee der fauchenden Traktoren legt, bekomme ich heute noch ab und zu Albträume.
    »Miss Wyvern muss eine sehr mutige Frau gewesen sein«, sagte ich.
    Tante Felicity ging wieder ans Fenster und schaute hinaus, als tobte draußen auf den Feldern östlich von Buckshaw immer noch der Zweite Weltkrieg.
    »Mehr als mutig. Sie war Britin.«
    Ich wartete, bis die Stille nur noch an einem seidenen Faden hing, dann stellte ich endlich die Frage, die mich hergeführt hatte.
    »Eigentlich musst du doch alles mit angehört haben, oder? Eure Zimmer liegen nebeneinander.«
    Mit einem Mal sah Tante Felicity verhärmt, alt und hilflos aus.
    »Du hast recht«, sagte sie. »Ich hätte es wohl hören müssen.«
    »Heißt das, du hast trotzdem nichts gehört?«
    »Ich bin eine alte Frau, Flavia. Alte Leute schlafen oft schlecht. Ich habe mir ein Schlückchen Rum genehmigt und mein gutes Ohr ins Kissen gedrückt. Die arme, liebe verfluchte Seele hat die ganze Nacht lang Filme geschaut. Ich wusste natürlich, warum, aber auch mein Mitgefühl hat irgendwann seine Grenzen.«
    Stimmt das?, fragte ich mich. Oder weicht sie mir bloß aus?
    »Du hast also nichts gehört«, wiederholte ich.
    »Das habe ich nicht behauptet. Ich habe nur gesagt, ich habe nicht alles gehört.«
    Ich stellte mich neben sie. Draußen war es dunkel geworden, und es schneite immer noch so heftig, als wollte der Schnee die ganze Welt unter einer eisigen Decke ersticken.
    »Ich bin aufgestanden, weil ich auf die Toilette musste. Phyllis hat sich mit jemandem gestritten. Aber der Film war so laut, dass …«
    »Mit einem Mann oder einer Frau?«
    »Da bin ich mir nicht sicher. Beide gaben sich Mühe, leise zu sein, aber es war eindeutig ein Streit. Sogar mit meinem guten Ohr an der Wand – guck nicht so entsetzt! – konnte ich nicht verstehen, worum es ging. Ich gab es auf und ging wieder ins Bett, fest entschlossen, am nächsten Morgen ein ernstes Wort mit ihr zu reden.«
    »Hast du denn vorher nicht mit ihr gesprochen?«, wollte ich wissen.
    »Nein. Es ergab sich keine Gelegenheit. Wir sind uns zwar einmal unerwartet auf dem Flur begegnet, aber wie schon gesagt  – wir beherrschten beide die Kunst, so zu tun, als seien wir einander noch nie begegnet.«
    In mir arbeitete es fieberhaft. Ich versuchte die Informationen, die ich von Tante Felicity erhalten hatte, zu verarbeiten und miteinander in Verbindung zu bringen. Wenn sie die Wahrheit sagte, hätte sich Phyllis Wyvern trotzdem nicht zu dem Zeitpunkt, an dem Tante F in der Nacht aufs Klo gegangen war, mit jemandem streiten können, weil sie nämlich schon tot war. Ich hatte die Klospülung gehört und kurz darauf im Sterbezimmer gestanden. Davor hätte jemand kaum genug Zeit gehabt, Phyllis Wyvern zu erdrosseln, sie umzuziehen (aus welchem schrägen Grund auch immer) und durch eine der drei Türen zu verschwinden: die Tür zum Korridor, die Tür zu Flos und Maeves Zimmer oder – ich warf verstohlen einen Blick über die Schulter – die Tür, die zu dem Zimmer führte, in dem ich gerade stand. Tante Felicitys Zimmer. Ins Zimmer meiner Tante, die mir vorhin angedroht hatte, sich mit einem Tranchiermesser an mein Bett zu schleichen. Wenn sie die Wahrheit gesagt hatte – wenn nur die Hälfte dessen, was sie angedeutet hatte, das Gefasel einer Frau war, die am Ende des Krieges jäh gealtert war – , dann war sie zu

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