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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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drin. In der Welt der oberen Zehntausend verging die Zeit offenbar langsamer. Im Grunde war das who’s who nicht viel mehr als ein öder Katalog der immer gleichen alten Knacker, die sich Jahr für Jahr weiter in Richtung Grab hüstelten.
    Ich hatte eine Eingebung. »Du, Daff! Woher hast du gewusst, dass ich nach dem who’s who fragen würde?«
    Das Schweigen war mit Händen zu greifen.
    »Pax vobiscum «, sagte sie dann urplötzlich und unerwartet.
    Pax vobiscum? Das war das traditionelle Signal für Waffenstillstand unter uns, den De-Luce-Schwestern – eine Formel, die normalerweise von mir benutzt wurde. Jetzt musste ich nur die richtige Erwiderung aussprechen: Et cum spiritu tuo, dann waren wir fünf Minuten lang, gemessen an der nächstbesten Uhr, auf Gedeih und Verderb dazu verpflichtet, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Keine Ausnahmen, kein Wenn und Aber. Keine hinter dem Rücken gekreuzten Flunkerfinger. Es war eine heilige Abmachung.
    »Et cum spiritu tuo «, sagte ich.
    Daffy klappte Bleak House zu und schälte sich aus dem Sessel. Sie ging zum Kamin und blickte in die noch warme Asche, wobei sie die Fingerkuppen leicht auf den Sims legte.
    »Ich habe mir gedacht …«, sagte sie gedehnt, und die Regeln des Waffenstillstands verboten mir leider strikt, sogleich einzuwerfen: »Hat’s sehr wehgetan?«
    »Ich habe mir gedacht … wenn nun mal Weihnachten ist, könnte ich ja vielleicht dieses eine Mal …«
    »Ja, Daff?«
    Etwas an ihrer Haltung war seltsam. Für die Zeitspanne eines jähen Blitzes, nicht länger, war sie Vater und dann, im nächsten Augenblick, wieder Daffy. Oder war sie, für eine Millisekunde dazwischen, auch die Harriet gewesen, die ich von vielen alten Fotos kannte?
    Es war unheimlich. Nein, mehr als das – es war verstörend.
    Als Daffy und ich so dastanden, ohne einander anzuschauen, und noch ehe sie weiterreden konnte, klopfte es leise. Wie ein von der Sehne schnellender Pfeil sauste Daffy wieder in den üppig gepolsterten Sessel, sodass sie, als die Tür aufging, in ihrer üblichen Haltung in Bleak House versunken schien.
    Das Gesicht des Inspektors erschien in der Tür. »Dürfen wir hereinkommen?«
    »Selbstverständlich«, erwiderte ich überflüssigerweise, da er, gefolgt von Desmond Duncan, bereits im Zimmer stand.
    »Mr Duncan hat sich freundlicherweise bereit erklärt, uns zu helfen, die zeitliche Dauer der Balkonszene herauszufinden. Du hast doch gesagt, Flavia, dass es hier in eurer Bibliothek einen Band mit Shakespeares gesammelten Werken gibt.«
    »Gab es mal, aber sie hat das Buch stibitzt«, brummelte Daphne missmutig, ohne von Dickens aufzublicken.
    Mein Magen schlug einen kleinen Salto – einerseits, weil Daffy doch bemerkt hatte, wie ich mit dem Buch davongeschlichen war, andererseits, weil ich mich beim besten Willen nicht erinnern konnte, wo ich das verflixte Ding gelassen hatte. Bei dem ganzen Aufruhr wegen Nialla und ihres Babys musste ich es ohne Nachzudenken irgendwo hingelegt haben.
    »Ich hole Ihnen das Buch«, sagte ich und trat mir im Geiste in den Hintern. In jeder Minute, in der ich nicht im Zimmer war, verpasste ich einen wichtigen Aspekt von Inspektor Hewitts Ermittlungen!
    Flavia, du Trottel!, dachte ich.
    »Halb so schlimm.« Daffy kam aus ihrem Sessel hoch und ging zu den Bücherschränken. »Hier hat sich im Lauf der Zeit reichlich Shakespeare angesammelt. Bestimmt haben wir noch eine andere Ausgabe.«
    Sie fuhr in der typischen Art aller Bücherwürmer auf der ganzen Welt mit dem Zeigefinger über die Buchrücken.
    »Na also. Ein Einzelband von Romeo und Julia. Ein bisschen zerfleddert, aber er dürfte den Zweck erfüllen.«
    Sie hielt dem Inspektor das Buch hin, aber der schüttelte den Kopf.
    »Gib es bitte Mr Desmond.«
    Ha!, dachte ich. So bekommt er die Fingerabdrücke von Daffy und Desmond Duncan auf einen Streich. Wie überaus gerissen von Ihnen, Herr Inspektor!
    Desmond Duncan nahm das Buch entgegen und blätterte darin, bis er die Balkonszene gefunden hatte.
    »Sehr markanter Druck«, sagte er. »Und eine altmodische Schrifttype.«
    Er angelte eine Hornbrille aus der Innentasche seines Jacketts und setzte sie mit ausholender Geste auf seine berühmte Nase.
    »Nicht, dass mir derlei Texte fremd wären«, fuhr er fort und betrachtete das Vorsatzblatt, »aber man ist doch überrascht, eine solche Ausgabe an einem derart entlegenen Ort zu finden. Wenn ich es nicht besser wüsste …«
    Berühmter Filmstar oder nicht, ich schob mich

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