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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Zunder war, erst braun und dann schwarz – und ehe ich michs versah, fing es an zu brennen.
    Es ist erstaunlich, wie gut das Gehirn in solchen Situationen funktioniert. Ich weiß noch, dass mein erster Gedanke lautete: »Hier ist Flavia – die Hände voll Flammen in einem Wandschrank, der mit leicht entflammbarem Zeug vollgestopft ist.«
    Aus solchem Stoff werden die Schlagzeilen der Times gemacht.
    Buckshaw abgefackelt. Von historischem Landsitz nur noch ein Häufchen qualmender Asche übrig.
    Natürlich mit einem grausigen Foto darunter.
    Ich warf das brennende Heft auf den Boden und trampelte darauf herum.
    Aber wegen der wasserabweisenden Lösung, die Dogger gewissenhaft auf unsere Schuhe aufzutragen pflegte – ein Hexengebräu, das sowohl Leinöl als auch Rizinusöl enthielt und obendrein Harzlack –, standen auch meine Schuhe im Nu in Flammen.
    Ich riss mir die Strickjacke herunter, ließ sie auf den Boden fallen und sprang darauf herum. Dann hob ich sie auf, knüllte sie zusammen und erstickte die letzten Flammen.
    Inzwischen pochte mein Herz wie ein Dampfhammer, und ich rang keuchend nach Luft.
    Zum Glück hatte ich das Feuer rechtzeitig gelöscht und mich nicht verbrannt. Ein paar Rußflocken und ein wenig Rauch waren die einzigen Spuren, die mein Missgeschick hinterlassen hatte.
    Ich vergewisserte mich, dass keine Funken zwischen die Papierstapel gefallen waren, und verließ hustend mein Versteck.
    Draußen zog ich die angesengte Jacke über und schabte mit den Spitzen meiner qualmenden Schuhe über die Dielen, als die Küchentür aufging und Dogger erschien.
    Er sah mich fragend an, sagte aber kein Wort.
    »Unvorhergesehene chemische Reaktion«, sagte ich.
     
    Eine gewisse Ermüdung hatte sich über die Eingangshalle gesenkt. Niemand schenkte mir die geringste Beachtung, als ich sie durchquerte. Überall saßen die Bewohner von Bishop’s Lacey, starrten mit leerem Blick vor sich hin oder waren in Gedanken versunken. In einer Ecke war mit einem Spieltisch und zwei Stühlen ein provisorisches Befragungsbüro eingerichtet worden. Dort unterhielt sich Sergeant Graves gerade in gedämpftem Ton mit Miss Cool, der Postamtsvorsteherin und Zuckerbäckerin des Dorfes.
    Auf alle anderen Anwesenden traf das Attribut »benommen« am ehesten zu. Das (teilweise künstliche) Hochgefühl, gemeinsam ein herrliches Abenteuer zu erleben, hatte sich verflüchtigt. Alle waren erschöpft und trugen wieder ihre wahren Gesichter vor sich her.
    Buckshaw hatte sich in einen Luftschutzraum verwandelt.
    In der von der Polizei am weitesten entfernten Ecke saugte Anthony, der Chauffeur, an einer Zigarette, die er in der halbgeschlossenen Hand verborgen hielt. Er hob den Blick und sah mich genauso an wie am Morgen, als ich auf dem Dach eine kleine Lawine ausgelöst hatte.
    Woran er wohl gerade dachte?
    Ich spazierte in Richtung Westflügel, wo ich einen Blick auf die antike Standuhr warf, die vor Vaters Arbeitszimmer im Flur stand. Es musste schon spät sein.
    Die ehrwürdigen Zeiger standen auf siebzehn Minuten nach zehn! Wo war bloß der Tag geblieben?
    Sogar vierundzwanzig Stunden kommen einem wie die Ewigkeit vor, wenn man nicht nach draußen kann und es sich obendrein um die kürzesten Tage im Jahr handelt. Doch der Tod von Phyllis Wyvern unter unserem Dach hatte das Zeitgefühl endgültig durcheinandergebracht.
    Unser Dach! Mein Eimer mit Vogelleim!
    Die Zeit lief mir davon. Wenn ich meinen Plan – meine Pläne! – durchführen wollte, musste ich mich sputen. Weihnachten stand unmittelbar bevor. Der Weihnachtsmann höchstpersönlich würde demnächst aufkreuzen.
    Ebenso der Leichenbestatter.
    Arme Phyllis Wyvern. Sie würde mir fehlen.

19
    D och vorher musste ich noch mal zur Toilette. Sobald das erledigt war, konnte ich loslegen.
    Das nächstbeste Örtchen befand sich am oberen Ende der Küchentreppe, zwei Türen neben Doggers Zimmer. Ich riss die Tür auf und ...
    Mir blieb fast das Herz stehen.
    Val Lampman saß mit entblößtem Oberkörper auf der Brille und mühte sich damit ab, einen Streifen Verbandsmull um einen seiner muskulösen Arme zu wickeln. Beide Arme waren fürchterlich zerkratzt und aufgeschürft. Er war ebenso verdutzt wie ich, und als er mich erschrocken ansah, bekam er plötzlich den Blick eines verwundeten Habichts.
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich wusste nicht, dass Sie hier drin sind.«
    Ich gab mir Mühe, die beiden Anker nicht direkt anzugaffen, die auf seine Unterarme tätowiert

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