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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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waren.
    War er früher zur See gefahren?
    »Was glotzt du so? Ist was?«, fragte er schroff.
    »Äh, nein …«, sagte ich. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Er war kurz aus der Fassung gebracht. »Nein danke. Ich hab den Jungs geholfen, eine Kulisse in den Laster zu heben, und sie ist auf mich draufgefallen. War meine eigene Schuld.«
    Als ob ich ihm das glauben würde! Kein Mensch würde bei dieser erbärmlichen Kälte halb nackt irgendwelche Sachen aufladen.
    »Das tut mir leid für Sie.« Ich nahm ihm die Mullbinde aus der Hand und rollte ein Stück ab. »Sie haben sich auch die Brust aufgerissen. Wenn Sie sich ein bisschen vorbeugen, verbinde ich sie Ihnen.«
    Meine Hilfsbereitschaft gestattete mir, seine Wunden genauer anzusehen. Sie waren an den Rändern schon ein wenig verschorft. Ganz frisch waren sie demnach nicht, aber auch noch nicht besonders alt. Ich schätzte, dass sie ihm vor knapp vierundzwanzig Stunden zugefügt worden waren.
    Und zwar von spitzen Fingernägeln, wenn mich nicht alles täuschte.
    Man hatte mich zwar wegen Aufmüpfigkeit bei den Pfadfinderinnen rausgeschmissen, aber ich hatte die vielen nützlichen Kenntnisse, die ich dort erworben hatte, keineswegs vergessen, darunter auch die Eselsbrücke »D-D-V«: Drücken, Desinfizieren, Verbinden.
    »DDV ! DDV!«, hatten wir immer gerufen, uns auf dem Fußboden des Gemeindesaals gewälzt, einander aufs Schlimmste zugerichtet und unsere Opfer und uns selbst wie dicke Mumien mit meterlangen Verbänden umwickelt.
    »Haben Sie Jod draufgetan?«, fragte ich. Die verräterischen rötlich-braunen Flecken dieser Tinktur waren nirgendwo zu sehen.
    »Ja«, log er, und jetzt entdeckte ich auch die blutverkrusteten Verbände im Badezimmermülleimer, die er kurz zuvor abgenommen haben musste.
    »Das ist aber nett von Ihnen, dass Sie beim Kulissenverladen helfen«, sagte ich beiläufig. »Das machen bestimmt nicht viele Regisseure.«
    »Jetzt, da McNulty ausgefallen ist, müssen alle mit anpacken.«
    »Mm«, sagte ich mitfühlend, um ihn dazu zu bringen, noch mehr zu erzählen.
    Aber in Gedanken stürmte ich bereits durch die Flure von Buckshaw, die Treppe hoch ins Blaue Zimmer, zu Phyllis Wyverns Leiche, ihren Fingernägeln …
    Die auffallend sauber gewesen waren. Unter den Nägeln hatte ich keine Hautfetzchen und keine Blutspuren gesehen (allerdings hatte ihr roter Nagellack die Flecken womöglich verdeckt).
    Auf einmal wurde mir bewusst, dass Val Lampman mich anschaute, und zwar so eindringlich, ja hypnotisch, wie eine Katze eine in die Enge getriebene Maus anschaut. Hätte der Regisseur einen Schwanz gehabt, er hätte damit gepeitscht.
    Er las in meinen Gedanken, da war ich mir ziemlich sicher.
    Daraufhin versuchte ich, nicht daran zu denken, dass die Polizei womöglich schon alle Spuren unter Phyllis Wyverns Fingernägeln hervorgekratzt hatte, und auch nicht daran, dass ihr Mörder, wer er auch sein mochte, sich die Mühe gemacht hatte, die Tote umzuziehen und ihr die Nägel zu lackieren und gegebenenfalls zu säubern.
    Ich versuchte, gar nichts zu denken, aber es klappte nicht.
    Sein Blick bohrte sich in meinen. Er hatte etwas in meinen Augen gelesen.
    »Ich muss los«, sagte ich. »Ich habe dem Vikar versprochen, dass ich ihm bei der …«
    Ich spürte, wie meine Wangen glühend heiß wurden, aber mir wollte nicht einfallen, wie ich den Satz beenden konnte.
    »… bei seinen Sachen helfe«, ergänzte ich lahm.
    Ich hatte schon die Tür geöffnet und einen Fuß in den Flur gesetzt, als er mich am Arm packte.
    »Warte!«, sagte er.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Dogger im Flur stand.
    »Alles in Ordnung, Dogger«, rief ich. »Ich habe Mr Lampman nur gezeigt, wo die Toilette ist.«
    Lampman lockerte seinen Griff, und ich riss mich los.
    Er saß einfach da und sah mich an. Der Verband auf seiner Brust hob und senkte sich bei jedem Atemzug.
    Dann machte ich ihm die Tür vor der Nase zu.
    Dogger war schon wieder weg. Guter alter Dogger. Sein Gespür für Schicklichkeit gebot ihm, sich lediglich im äußersten Notfall einzumischen. Und das eben war schließlich keiner gewesen.
    Oder doch? Ich würde mit Dogger darüber sprechen, sobald ich selbst darüber nachgedacht hatte. Jetzt war es noch zu früh.
    Hatte ich Phyllis Wyverns Mörder entlarvt? Gut möglich. Vielleicht aber auch nicht.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein friedfertig wirkender Mensch wie Val Lampman seine Mutter erdrosseln und anschließend umziehen und schminken würde, damit sie

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