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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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dass der lateinische Name »Nasturtium« dieser ziemlich übel riechenden Pflanzen so viel wie »Nasenqual« bedeutete. Obwohl ich ihr ganz einfach hätte antworten können, dass der Gestank lediglich darauf beruhte, dass ihr ätherisches Öl hauptsächlich aus Allylisothiocyanat (C 4 H 6 NS), auch ätherisches Senföl genannt, bestand, ließ ich es bleiben.
    Es gibt durchaus Zeiten, zu denen ich mich bescheiden zurückhalte.
    Wir hatten an jenem Tag in einem von Harriets Aquarell-Skizzenblöcken geblättert und waren auf eine Ansammlung recht hübscher Blumen gestoßen, deren hingetuschte Blütenblätter fröhlich in Orange, Gelb, Rot und Rosa leuchteten.
    Am unteren Rand der Seite stand mit dünner Bleistiftschrift: Nasturtium, Toronto, 1930, Harriet de Luce
    Oben auf dem Blatt prangte ein dicker schwarzer Stempel, der eins der Blütenblätter halb überdeckte : Miss Bodycotes Höhere Mädchenschule. Und mit rotem Stift daneben: 2-
    Mein Herz wäre mir am liebsten aus der Brust gesprungen und hätte dem Banausen von Lehrer eins auf die Nase gehauen. Wie konnte er es wagen, meiner geliebten verstorbenen Mutter eine so hässliche Zwei minus zu geben?
    Ich holte entrüstet Luft und verschluckte mich an dem Kloß in meiner Kehle.
    »Sachte, Schätzchen«, sagte eine dumpfe, seltsam hallende Stimme. »Jetzt ist ja alles gut.«
    Ich machte die Augen auf, blinzelte ins grelle Licht und erblickte Mrs Mullet. Sie ging rasch zum Fenster und zog den Vorhang vor, damit mir die Sonne nicht direkt ins Gesicht schien.
    Ich brauchte einen Augenblick, um mich zurechtzufinden. Ich lag nicht mehr in meinem Zimmer, sondern auf dem Sofa im Salon. Mit einiger Mühe setzte ich mich auf.
    »Bleib liegen, Schätzchen«, ermahnte mich Mrs Mullet. »Dr. Darby hat dir einen schönen Senfwickel verpasst.«
    »Einen was?«
    »Einen Senfwickel. Das hilft immer. Lieg schön still.«
    »Wie spät ist es?«, wollte ich wissen. Ich fand mich immer noch nicht richtig zurecht.
    »Tja, es ist schon nach Weihnachten, Schätzchen«, antwortete sie. »Du hast das Fest glatt verpasst.«
    Ich betrachtete angewidert die zusammengeklumpte Senfschmiere auf meiner Brust.
    »Nicht anfassen, Schätzchen. Du hast dir ganz schön was eingefangen. Dr. Darby hat gesagt, das muss eine halbe Stunde draufbleiben.«
    »Warum denn? Ich bin doch nicht krank.«
    »Du bist vom Dach geplumpst. Das kommt auf dasselbe raus. Zum Glück war der Schnee an der Stelle zu so einem hohen Haufen geschippt. Sonst wärst du glatt bis nach China durchgefallen.«
    Ich war vom Dach gefallen?
    Dann stürzte alles wie eine Flutwelle auf mich ein.
    »Val Lampman!«, sagte ich. »Marion Trodd! Sie wollten mich …«
    »Ist ja gut«, beschwichtigte mich Mrs Mullet. »Du sollst jetzt an gar nichts denken, außer daran, dass du wieder gesund werden musst. Dr. Darby meint, vielleicht hast du dir sogar eine Rippe gebrochen. Er will bestimmt nicht, dass du dich so viel bewegst.«
    Sie schüttelte mein Kopfkissen auf und strich mir eine feuchte Haarsträhne aus den Augen.
    »Ich kann dir aber so viel verraten«, fügte sie naserümpfend hinzu, »dass sie die Frau mitgenommen haben, und zwar mit Eisenmanschetten an den Handgelenken. Aber vorher mussten sie sie mit ’ner Blechschere losschneiden. Du hättest mal sehen sollen, was die für ’n Gesicht gemacht hat. Ist überall kleben geblieben, egal was sie angefasst hat, sogar an Constable Linnet  – dabei hatte seine Frau die Uniform erst grade frisch gewaschen und gebügelt, das hat er mir noch gesagt. Bestimmt landet sie ruckzuck am Galgen, aber sag bloß keinem, dass du das von mir hast. Du sollst dich nämlich nicht aufregen.«
    »Und was ist mit Val Lampman?«
    Mrs Mullet setzte eine ernste Miene auf.
    »Der ist vom Dach gefallen, genau wie du. Ist aber auf Miss Wyverns Auto gelandet und hat sich das Genick gebrochen. Aber denk dran: Von mir weißt du das nicht.«
    Ich schwieg lange. Ich wusste nicht recht, was ich von dieser offen gestanden nicht ganz unwillkommenen Neuigkeit halten sollte. Wie es aussah, hatte die Gerechtigkeit ihre eigene Entscheidung getroffen, wie mit Val Lampman zu verfahren war.
    Auf einmal schwirrten mir lauter merkwürdige, halb verblasste Bilder durch den Kopf – lauter Gesichter, die in einem verschwommenen Zimmer, in dem ich hilflos im Bett lag, auftauchten und wieder entschwanden.
    »Mrs Hewitt«, sagte ich. »Antigone, die Frau des Inspektors … Ist sie noch da?«
    Mrs Mullet machte ein erstauntes

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