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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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dem tragischen Ereignis sei Mrs Franklin ihr nicht anders als sonst vorgekommen, höchstens etwas aufgeregter. Sie habe Mrs Franklin nie von Selbstmord sprechen hören.
    Der letzte Zeuge war Hercule Poirot. Seine Aussage war gewichtig und machte beträchtlichen Eindruck. Er berichtete über eine Unterhaltung, die er mit Mrs Franklin einige Tage vor ihrem Tod geführt hatte. Sie sei sehr niedergeschlagen gewesen und habe mehrmals den Wunsch geäußert, alles hinter sich zu lassen. Sie sei über ihren Gesundheitszustand besorgt gewesen und habe ihm anvertraut, dass sie zuweilen von einer tiefen Melancholie befallen werde und ihr dann das Leben wenig lebenswert erscheine. Sie habe geäußert, dass es wunderschön sein müsse, einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen.
    Seine nächste Antwort erregte noch mehr Aufsehen.
    »Sie saßen am Morgen des zehnten Juni in der Nähe des Labors?«
    »Ja.«
    »Haben Sie Mrs Franklin aus dem Labor kommen sehen?«
    »Ja.«
    »Haben Sie bemerkt, dass sie etwas in der Hand hielt?«
    »In der rechten Hand trug sie ein kleines Fläschchen.«
    »Sind Sie ganz sicher?«
    »Ja.«
    »Geriet sie bei Ihrem Anblick in Verlegenheit?«
    »Sie schien nur etwas bestürzt zu sein, das ist alles.«
    Der Richter fasste zusammen. Die Geschworenen, sagte er, müssten sich darüber einig werden, wie Mrs Franklin gestorben sei. Nach dem medizinischen Gutachten gebe es über die Todesursache keine Zweifel. Der Tod der Verstorbenen sei auf eine Vergiftung durch Physostigmin zurückzuführen. Die Geschworenen hätten lediglich zu entscheiden, ob sie das Gift zufällig oder vorsätzlich eingenommen habe oder ob es ihr durch eine andere Person eingeflößt worden sei. Sie hätten gehört, dass die Verstorbene unter Anfällen von Depression gelitten habe, dass ihr Gesundheitszustand schlecht und ihre Nerven angegriffen gewesen seien. Ein Hinweis auf eine organische Erkrankung liege nicht vor. Mr Hercule Poirot, ein Mann, dessen Zeugnis man Gewicht beilegen müsse, habe versichert, dass er Mrs Franklin mit einem Fläschchen in der Hand aus dem Labor habe kommen sehen und sie bei seinem Anblick bestürzt gewesen sei. Der Schluss liege nahe, dass sie das Gift aus dem Labor entwendet habe, in der Absicht, aus dem Leben zu scheiden. Sie habe offenbar unter der zwanghaften Vorstellung gelitten, dass sie ihrem Mann im Weg stehe und seiner Karriere schade. Es sei gegenüber Dr. Franklin nur fair, festzustellen, dass er allem Anschein nach ein liebevoller und besorgter Ehemann gewesen sei und seiner Frau wegen ihrer Kränklichkeit niemals Vorwürfe gemacht oder sich darüber beklagt habe, dass sie seiner Karriere hinderlich sei. Diese Vorstellung sei offenbar ihrem eigenen Kopf entsprungen. Frauen in einer bestimmten nervlichen Verfassung neigten zu solchen fixen Ideen. Es gebe keine Hinweise darauf, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise das Gift eingenommen worden sei. Es sei vielleicht etwas ungewöhnlich, dass das Fläschchen mit dem Gift nicht gefunden wurde. Wie Schwester Craven angedeutet habe, sei es jedoch möglich, dass Mrs Franklin es ausgewaschen und ins Medizinschränkchen zurückgestellt habe. Die Entscheidung liege jetzt bei den Geschworenen.
    Nach kurzer Beratung wurde der Spruch verkündet.
    Die Jury befand, dass Mrs Franklin sich in einem Anfall geistiger Umnachtung das Leben genommen hatte.
    Eine halbe Stunde später saß ich bei Poirot. Er sah sehr erschöpft aus. Curtiss hatte ihn zu Bett gebracht und verabreichte ihm ein Stärkungsmittel.
    Ich konnte es kaum erwarten, ihn auszufragen, aber ich musste mich beherrschen, bis der Diener fertig war und das Zimmer verlassen hatte.
    Dann platzte ich heraus: »Stimmt es, Poirot, was Sie ausgesagt haben? Dass Sie in Mrs Franklins Hand ein Fläschchen gesehen haben, als sie aus dem Labor kam?«
    Ein leises Lächeln umspielte Poirots bläulich verfärbte Lippen. »Haben Sie es denn nicht gesehen, mein Freund?«, murmelte er.
    »Nein.«
    »Aber vielleicht haben Sie nicht genau hingeschaut, nein?«
    »Vielleicht. Ich könnte tatsächlich nicht beschwören, dass sie kein Fläschchen gehabt hat.« Ich sah ihn zweifelnd an. »Doch die Frage ist, ob Sie die Wahrheit gesagt haben.«
    »Trauen Sie mir eine Lüge zu, mein Freund?«
    »Ich traue Ihnen alles zu.«
    »Hastings, Sie erschrecken mich! Wo ist Ihr kindliches Vertrauen geblieben?«
    »Nun«, räumte ich ein, »ich glaube nicht, dass Sie tatsächlich einen Meineid leisten würden.«
    »Es wäre kein Meineid

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